Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
nicht, konnten aber dessen Ausführung bald wahrnehmen.
    Die leichten Schritte zweier Männer näherten sich dem Tipi Tschetansapas. Unmittelbar hintereinander, fast wie ein Mann, schlüpften zwei Bewaffnete durch den Zelteingang in das Tipi herein.
    In demselben Augenblick schon waren der Häuptling selbst und die drei Raben aufgesprungen und hatten die beiden Bewaffneten überwältigt. Der Alte Rabe und der junge Häuptling hatten je einen niedergerissen, während die beiden Rabensöhne den Eindringlingen alle Waffen abnahmen; erst die Büchsen, dann Pistole und Messer aus dem Gürtel. Die Fesseln lagen bereit, und in wenigen Sekunden waren die beiden an Händen und Füßen gebunden. Laut schrie und drohte Schonka, als er seine erste vollständige Verblüffung überwunden hatte.
    Tokei-ihto und der Alte Rabe suchten sich die Waffen aus, die sie selbst behalten wollten. Es war für den jungen Häuptling der Augenblick einer heftig aufspringenden und zugleich bitteren Freude, als er seine alte Büchse wieder in der Hand hielt. Diese Büchse hatte eine lange Geschichte. Zuletzt hatte ihr Besitzer sie bei seiner Gefangennahme im Fort abgeben müssen, und sie mochte über Red Fox in Schonkas Hände gekommen sein.
    Während der Häuptling und der Alte Rabe sich bewaffneten, luden die beiden jüngeren Raben die Gefangenen auf die Schulter und brachten sie weg. Das gleiche ohnmächtige Geschrei und Schelten, das im Zelt Tschetansapas aus dem Mund Schonkas und Tatokanos erklungen war, ließ sich auch aus Tschapas Zelt von den dort Überwältigten hören. Die beiden jungen Raben begegneten auf ihrem Weg Tschapa Kraushaar und Speerspitze, die ihre Gefangenen ebenfalls wegtrugen.
    Die Gefesselten wurden in Schonkas Zelt gebracht, das als einziges stehenbleiben sollte.
    Der jüngste Rabe blieb als Wache in diesem Tipi zurück.
    Die Gefangenen gaben das Schelten und Drohen auf, da sie die Zwecklosigkeit begreifen mußten. Der junge Rabe rauchte und versuchte seine Erbitterung zu beherrschen, die er den Verrätern gegenüber empfand. Tokei-ihto hatte verboten, die Gefangenen zu töten, um die Rache der weißen Männer nicht unnütz zu reizen.
    Der Jungmann war damit nicht einverstanden, aber er gehorchte.
    Im Hintergrund des Zeltes saß Hyazinthe, Schonkas junge Frau. Im Schein des hellen Feuers, das sie hatte anfachen müssen, sah sie um so bleicher aus. Der gefangene Schonka betrachtete sie lauernd, weil sie nicht gefesselt war. Für den wachhabenden jungen Raben war die Frau des Verräters Luft; er schaute an ihr vorbei oder über sie hinweg. Es war ihr, als ob er durch sie hindurchschaue und als ob ihr Fleisch und Blut schon nicht mehr wirklich sei. Leise sang sie ein Lied vom Tod vor sich hin und zwang ihr Herz, für immer schlafen zu gehen. Die Menschen der Prärie hatten eine große Gewalt über ihren eigenen Körper. Hyazinthe wollte sterben, weil ihr Mann ein Verräter war.
    In der gleichen Stunde fachte Uinonah das Feuer in Tschetansapas Zelt wieder an. Tokei-ihto trat zu dem schwerverletzten Freund, der ihn stumm, mit dem noch immer gleich finsteren und forschenden Blick begrüßte. Der Häuptling nahm die rote Kriegspfeife noch einmal heraus und zeigte sie Tschetansapa im Feuerschein. Sie war auf eine besondere und kunstvolle Art geformt.
    »Kennst du sie, Tschetansapa?«
    Es dauerte lange, bis die Antwort kam. »Ja.«
    »Der, mit dem du sie geraucht hast, ehe ihr die Langmesser in unseren Prärien besiegt und geschlagen habt, er hat sie mir gegeben. Ich gebe sie dir zwischen die Lippen zum Zeichen, daß du sie zum zweitenmal nimmst – von ihm und von mir.«
    Tschetansapa antwortete mit einer Bewegung der Augenlider: »Gib sie!«, und sein Blick veränderte sich. Eine größere Ruhe kam über ihn.
    Am Zelt Hawandschitas donnerte im Nordwind die gelöste Plane, denn Untschida gab als erste der Frauen dieses Zeichen zum Abschlagen der Zelte und zum Aufbruch. Wie oft hatten die Männer und Frauen dieses donnernde Flattern der ersten Plane gehört, das zu den Wanderzügen hinter den Büffelherden im Frühling und Sommer gerufen hatte. Jetzt rief es auf zum letzten großen Zug.
    Die Frauen führten schon die Pferde herbei, die sich in der gewohnten Ordnung, Tier hinter Tier, aufstellten. Die Rutschen wurden zurechtgemacht, und die Kinder und die Habe wurden eingeladen.
    Der Schneefall wurde immer stärker; weiß verschneit begegneten sich die Menschen bei dem sich bildenden großen Transportzuge. Jetzt waren alle

Weitere Kostenlose Bücher