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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Mund der Krieger wieder lebendig. Oft nannten sie ihn jetzt auch in ihrer eigenen Sprache »Schunktoketscha«, Wolf.
    Die Kinder aßen bei der Rast wenig. Dann schliefen sie gleich wieder. Sie mußten jede Minute nutzen, um ihre Kräfte zu erneuern, denn es ging um Leben und Tod. Wer diese Wanderung nicht aushielt, der mußte zurückbleiben und sterben.
    Manche der Mustangs krepierten vor Hunger. Maultiere, die die Bärenbande noch aus dem mißglückten Schmugglerzug des Bacerico Monito besaß, erwiesen sich als zäh und brauchbar.
    Die Eiseskälte und die übermäßigen Anstrengungen der Wanderung hatten auch einige der alten, kraftlos gewordenen Männer und Frauen der Bärenbande schon zu Tode erschöpft. Sie taten, was seit Väterzeiten Sitte des wandernden Jägervolkes gewesen war: Sie nahmen Abschied von den Ihren und ließen sich durch keine Bitte von ihrem Entschluß abbringen.
    Als der Wanderzug wieder aufbrach, blieben sie allein in der großen einsamen Schneewüste zurück. Während die Sterne verschleiert zwischen Wolken aufblinkten, ging das Lied der Sterbenden durch die Lüfte und zu den Ohren derer, die mit verkrampften Fäusten und zusammengepreßten Lippen weiterwanderten, weiter, weiter, fort aus der Heimat, hin zu dem fremden und fernen Land.
    Auch Kinder starben in Kälte und Mühsalen, und mancher dachte ohne Worte an die Rede des Häuptlings der Schäheptin, die Tokei-ihto den Söhnen und Töchtern der Großen Bärin gesagt hatte, als sie aufbrachen. Doch noch waren die Männer, Söhne und Frauen nicht müde, wenn sie auch traurig waren.
    Nacht für Nacht setzten sie alle einen Fuß vor den anderen und hungerten, um den Proviant zu sparen, froren im Wind und im Schnee und hörten immer wieder das Geheul der Wölfe, die sich nachts an den Zug heranschlichen. Den Hunden hatte man die Packen abgenommen, damit sie besser gegen die Wölfe kämpfen konnten.
    Blutig, zerbissen, zerkratzt, aber immer Sieger, führte Ohitika sein kleines Rudel. Dem Falben war es gelungen, mit den Hufen einen Wolf zu töten. Unermüdlich waren die Krieger in der Dunkelheit um den wandernden Zug herum unterwegs und jagten die Raubtiere.
    Tokei-ihto hatte schon als elfjähriger Knabe den Namen Wolfstöter erhalten und bewies, daß er ihn immer noch zu Recht tragen konnte.
    Immer weiter ging es nordwärts durch die endlose Prärie. Der Winter war früher müde als die Wandernden. Die weiße blendende Decke der Hochebene wurde grau und taute rasch. Löcher zeigten sich im Schnee; alte Wildspuren vergrößerten sich durch den Einbruch der schmelzenden Ränder ins Riesenhafte.
    Zur Mittagszeit, wenn die erschöpften Wanderer in ihren Decken ruhten, hörten sie noch im Schlaf das leise Glucksen, mit dem der Boden den sich auflösenden Schnee schluckte. Die Sonne schien schon warm, aber in den frostklaren Nächten froren das Eis auf den Flüssen und Bächen und der nasse Schnee noch immer von neuem fest.
    Wieder einmal war nach einer kalten Nacht die Maisonne am Himmel aufgegangen, und ihre Strahlen wärmten die Kinderhände. Die Pferde waren schon abgeladen und weideten am Ufer eines kleinen Gewässers. Beilhiebe ließen das Eis des Baches splittern, und das Wasser quirlte in den Löchern. In den Zweigen eines Pflaumenbaumes saß eine schwarze Drossel mit gelbem Schnabel und sang ihr Morgenlied. Das Mädchen Blitzwolke hatte die Hände auf dem Rücken zusammengelegt und hörte zu. Der Morgen war schön. Eine Lerche stieg flatternd in die Himmelshöhe hinauf wie ein singender Pfeil. Blitzwolke war hungrig und überanstrengt und trotzdem froh.
    Vertrauensvoll ließ sie sich bei der Häuptlingsschwester nieder, die die Mutterstelle an dem einsam gewordenen jüngeren Mädchen vertrat, und nahm ihr Frühstück in Empfang. Es war ein Stück Hirschfleisch. Als Blitzwolke es zerteilt und verzehrt hatte, sah sie forschend um sich.
    »Wo sind wir jetzt?« erkundigte sie sich, während sie das Messer in die Erde stieß und es gereinigt wieder in die Scheide steckte.
    »Nahe dem unteren Pulverfluß, der in den Gelbsteinfluß fließt«, erklärte die Häuptlingsschwester. »Der Gelbsteinfluß aber strömt in das große Schlammwasser.«
    »Ist es noch weit bis dahin?«
    »Einige Nachtlager, wenn wir gerade durchziehen können.«
    »Ist es wahr, daß das große Schlammwasser so wild und listig ist, daß es alle Schiffe frißt?«
    »Im Frühjahr, wenn die Wasser hoch gehen, hat der Strom schon viele Schiffe gefressen, sagte mir Tokei-

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