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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Sohn des Brennenden Wasser, und die Weiber und Kinder seines Stammes habe ich mitgenommen. Wenn du mir aber befiehlst, sie alle zu töten, so werde ich es tun.«
    »Nur dann, wenn ich es dir befehle?«
    »Nur dann.«
    »Wenn ich Donner vom Berge aber nicht töten will«, sprach Tokei-ihto so langsam, als ob er eine schwere Last wegwälze, »wenn ich dir, Tschetansapa, den Befehl, die Gefangenen zu töten, nicht gebe, so bist du bereit, dem Mann, mit dem du gekämpft hast, jetzt die Hand als Bruder zu geben?«
    »Ich bin es. Er ist nicht geringer als ich. Aber sollen wir dann bei den Schwarzfüßen leben und unsere Brüder, die Assiniboine, töten jenseits des Mini-Sose?«
    »Nein, das wollen wir nicht. In Frieden wollen wir mit ihnen leben. Tokei-ihtos Hand tötet nur noch jene Verräter, die für zehn Dollar im Mond unseren Feinden dienen.«
    Tschetansapa hob den Blick und sah Tokei-ihto in die Augen. »Sind deine Gedanken schon lange auf solchen Wegen gegangen, mein Bruder und Häuptling?«
    »Ja. Als Knabe habe ich zu diesen Gedanken gefunden. Als Krieger habe ich sie bei den Siksikau ausgesprochen, und ihr Geheimnismann wollte mich dafür töten. Du bist der erste, der mir bei solchen Gedanken begegnet und mich versteht.« Tokei-ihto legte seine Hand auf Tschetansapas Schulter.
    Zusammen verließen die Freunde das Zelt und schritten durch die Mondhelle der beginnenden Nacht zu Schwarzfalkes eigenem Tipi hinüber. Der Nachtwind strich um die Gräser und um den aufgebahrten toten Knaben.
    Tokei-ihtos Fuß stockte vor dem kleinen Sarg, der nur aus einer Decke bestand.
    »Wer ist es?«
    »Ein Knabe, wohl der Bruder des Donner vom Berge und jenes Mädchens, die den Toten mitgetragen hat.«
    »Du meinst Sitopanaki?«
    »Ja, Sitopanaki.«
    Der Häuptling trat mit Tschetansapa zusammen in dessen Tipi ein. Die Wände waren noch immer aufgeschlagen, und das Mondlicht floß zwischen den Stangen hindurch über den Zeltboden. Die Gäste erhoben sich; sie schienen nicht miteinander gesprochen zu haben. Tokei-ihto grüßte und ging auf Donner vom Berge zu. Ohne sich zu rühren, stand der fremde Häuptling noch immer im Hintergrund des großen Tipi. Sein Antlitz war im Schatten der
    Zeltwände verborgen; seine Wunden rochen. Es war unsicher, wieviel er von den Vorgängen um sich herum noch wahrnahm.
    Tokei-ihto faßte mit beiden Händen den Arm und die schmerzende Rechte des Gefangenen, renkte sie mit einem kräftigen Ruck aus und ließ sie in der richtigen Stellung wieder in das Gelenk zurückgleiten. Der Gefangene ließ es geschehen.
    »Kennt Donner vom Berge, mein Bruder, noch Stein mit Hörnern, den Sohn Mattotaupas?« fragte der Dakota in der Sprache der Schwarzfüße.
    Der Fremde löste sich aus seiner Starre. »Ja, du bist der Sohn Mattotaupas, mein Blutsbruder, Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärentöter – als Krieger bei uns genannt Stein mit Hörnern.«
    »Ich bin es. So mag mein Bruder seine Wunden zubinden lassen. Wir werden miteinander sprechen.«
    Der Gefangene zögerte. »Nein«, sagte er dann. »Diese Wunden bluten, solange meine Krieger in Fesseln liegen.«
    Tokei-ihto bückte sich stillschweigend zu den beiden Männern am Boden und löste ihnen die Riemen.
    Er winkte den Frauen. Sitopanaki und Mongschongschah kamen herbei, um die Wunden der befreiten Krieger zu versorgen und ihnen zu trinken zu geben.
    Der Dakotahäuptling trat inzwischen zu Tschetansapa und dessen Gästen, die dem überraschenden Auftritt stehend zugesehen hatten. Da sie die Worte der Schwarzfuß-Sprache nicht hatten verstehen können, erklärte Tokei-ihto kurz, was gesprochen worden war. Als er bemerkte, daß die Frauen ihre Aufgabe bei den Schwarzfüßen erfüllt hatten und sich wieder zurückzogen, wandte er sich Donner vom Berge von neuem zu. »Ich bitte den Sohn des Brennenden Wasser, mir in mein Zelt zu folgen.«
    Tokei-ihto verließ mit dem Schwarzfuß zusammen das Tipi und bat nur Tschetansapa und den Delawaren mitzukommen. Als die Krieger das Häuptlingszelt betraten, ließ der Gastgeber von Uinonah und Untschida die Wände aufschlagen. Da kein Feuer gebrannt werden durfte, wäre es sonst stockfinster gewesen. Jetzt gab der Mond seine Helle, und die vier Männer, die sich gegenübersaßen, vermochten sich gegenseitig zu erkennen.
    Tokei-ihto wartete. Er sah, wie Tschetansapa und Donner vom Berge sich mit den Augen maßen. Tschetansapas narbenentstellter Kopf wirkte in der nächtlichen Beleuchtung noch

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