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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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eintreten sollen, aber nun war es zu spät. Er schloß die Lederwand hinter sich und blieb stehen, bis sich die Schatten für seine Augen zur Gestalt formten und er Tokei-ihto deutlich erkennen konnte.
    Der Häuptling stand hinter der leeren Feuerstelle. Seine Haltung fiel Tschetansapa auf. Er schien weder eben aufgestanden zu sein noch sich niedersetzen zu wollen; auch ließ seine der Feuerstelle zugewandte Stellung nicht darauf schließen, daß er, im Zelt auf und ab gehend, einmal stehengeblieben sei. Der Häuptling hatte die Haltung eines Mannes, der mit einem Gegenüber spricht, aber es war niemand im Zelt zu sehen, an den er das Wort gerichtet haben konnte. Am Zeltrand saßen stumm Uinonah und Untschida. Der kleine braune Bär lag neben dem Mädchen.
    Schwarzfalke fühlte sich von einem fremden und merkwürdigen Blick getroffen. Der Krieger hatte die Augen des Häuptlings ein einziges Mal in diesem Schillern gesehen. Damals war es gewesen, als der Mörder Mattotaupas das Zelt des Sohnes betreten hatte. Jetzt leuchtete wieder das unheimliche Licht, aber es verlosch sofort, und Tokei-ihto ging mit der gewohnten, alle Gefühle bedeckenden Höflichkeit dem Eintretenden entgegen. Er wollte ihn nötigen, Platz zu nehmen, aber der Krieger bat, stehend und kurz berichten zu dürfen. Mit ungeteilter Aufmerksamkeit und ohne Zwischenfrage hörte der Häuptling ebenfalls stehend zu. Als Tschetansapa geendet hatte, trat eine Pause ein.
    Kein Wort sagte Tokei-ihto über Tschetansapas großen Erfolg und auch kein Wort über die Fehler, die er gemacht hatte. Kein Wort über den Tod des Alten Raben. Kein Wort über die Gefangennahme des Donner vom Berge.
    War Tschetansapa entlassen? Das Schweigen Tokei-ihtos bedrückte den Krieger. Hätte Tokei-ihto gezürnt, es wäre ihm lieber gewesen. »Wann brechen wir auf?« fragte er den Häuptling mit belegter Stimme.
    »Heute in der Nacht. Wir müssen die Zeit nutzen, in der die Feinde noch auf falscher Fährte suchen.«
    »Willst du diese drei gefangenen Schwarzfüße sehen?«
    »Mein Bruder hat diese Krieger gefangen. Er mag mit ihnen tun, was ihm beliebt. So hat Hawandschita entschieden.«
    Als Tokei-ihto diese Worte sprach, zuckte Tschetansapa innerlich zusammen, denn er fühlte etwas von dem, was den Häuptling bewegen mußte, ohne daß ein Wort davon laut wurde. Tokei-ihto war als ein Bursche von vierzehn Jahren durch die Strenge des verbannten Vaters und eine unglückliche Verkettung von Umständen gezwungen gewesen, seinen eigenen jüngeren Bruder zu töten. Die Wunde, die auch sein Leben damit empfing, war schlecht vernarbt; Narben konnten von neuem schmerzen.
    Jetzt stand der Häuptling vor der Entscheidung, seinen einstigen Freund und Blutsbruder, Donner vom Berge, sterben zu lassen. Tschetansapa trug die Schuld, daß es soweit gekommen war, und Hawandschita versuchte, ihn auf diesem Abweg weiterzutreiben. Der Krieger aber wollte sich aus dem Gestrüpp der Feindschaften zwischen roten Männern, in das er durch seinen Kriegerstolz von neuem hineingeraten war, befreien. Dabei wußte er selbst noch nicht, wie ihm das noch gelingen sollte.
    Tokei-ihto war aufs äußerste empfindlich, wenn es um einen Verdacht ging, daß er nicht ganz und in jeder Beziehung wie ein echter Dakota denke und fühle. Tschetansapa konnte dem Häuptling gegenüber nichts von der Blutsbrüderschaft erwähnen. Der Krieger kräuselte die Lippen und sagte das Gegenteil von dem, was ihm selbst lieb war.
    »Die Gefangenen sind uns eine Last. Ich werde sie sogleich töten, wenn du es für recht hältst, Tokei-ihto. Wir haben keine Zeit für Siegerfeste. Die Skalpe der Siksikau können wir uns nehmen, und unsere Verwandten, die Assiniboine, werden uns freudig in ihren Jagdgründen empfangen, wenn wir ihnen die Kopfhaut des Donner vom Berge bringen und sein Sterbelied gehört haben. Er war tapfer, und wir können uns unseres Sieges rühmen«, schloß Schwarzfalke mit einer Betonung, mit der er sich selbst und seiner besseren Einsicht trotzte.
    »Ja.« Tokei-ihto brachte nur das eine Wort hervor.
    Tschetansapa vermied es, den Häuptling anzusehen. Er schämte sich und begann im Zelt auf und ab zu gehen, die Augen auf den Boden gerichtet.
    »Es war in der Nacht«, sagte er dabei vor sich hin. »Ich habe auf Donner vom Berge gewartet und nachgedacht, und meine Gedanken haben sich gedreht. Ich sah die Langmesser, die diese Schwarzfüße überfallen haben und die auch uns bedrohen. Ich habe ihn nicht gefesselt, den

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