Ueber den Tod hinaus
»auf die Minute kommt's nicht an.«
Der Wachmann griff nach einem der Telefonhörer seiner Anlage.
Alec Mongrain sah es mit plötzlicher Beunruhigung.
»Hören Sie, Sir«, beeilte er sich zu sagen, darauf bedacht, nicht alarmiert zu klingen, »geben Sie mir einfach den Schlüssel, ich kenne den Weg. War schon mal hier. Sie müssen nicht -« Sein Finger wies auf die Telefonanlage.
Der Pförtner schüttelte bedauernd den Kopf.
»Sorry, Vorschrift ist Vorschrift«, sagte er. »Jeder Handwerker, der in dieses Gebäude kommt, muß von einem Security-Mann begleitet werden.«
Er sprach in den Hörer, dann legte er auf. Nur ein paar Sekunden später tauchte im Hintergrund der riesigen Eingangshalle des Bea-derstadt-Towers ein uniformierter und bewaffneter Mann auf und kam auf die Pförtnerloge zu.
»Zur Steuerungseinheit der Klimaanlage?« fragte er Alec Mon-grain grußlos.
Der nickte nur.
»Hier lang.«
Mongrain folgte dem Sicherheitsbeamten durch eine unscheinbare Tür und Betonstufen in die mehrstöckige Kellertiefe des Gebäudes.
Der Uniformierte gab ein paar Kommentare über die Räumlichkeiten und deren Bedeutung ab, als veranstalte er eine Führung.
»Hier ist es«, sagte er schließlich und hielt Mongrain eine schwere Metalltür auf, deren elektronisches Schloß er zuvor mit einem Zahlencode geöffnet hatte. Im Beaderstadt-Tower waren vermutlich nicht einmal die Toilettentüren »einfach so« zu öffnen .
Bis jetzt jedenfalls, dachte Mongrain und verkniff sich ein Lächeln. Er trat in den Raum hinter der Tür.
»Wußte gar nicht, daß mit dem Teil was nicht stimmt«, meinte der Sicherheitsmann, der ihm folgte.
»Dafür gibt's ja uns, nicht wahr?«
»Stimmt auch wieder.«
Mongrain stellte seinen Werkzeugkasten ab, bückte sich und klappte ihn auf.
»Mir scheint«, sagte er zu dem Uniformierten, ohne ihn allerdings anzusehen, »Sie tun Ihren Job ein bißchen nachlässig, wie?«
»Was meinen Sie damit?«
Mongrain zuckte die Schultern, weiter in seiner Ausrüstung wüh-lend. »Hätten Sie meinen Kasten nicht untersuchen müssen, bevor wir hier runter sind? - Könnte ja eine Waffe drin sein, oder 'ne Bombe. Oder beides, nicht?«
Der andere lachte leise auf. »Ach was. So einer sind Sie nicht. Dafür hab' ich 'nen Blick, glauben Sie mir.«
»Idiot«, sagte Alec Mongrain nur. Und erschoß ihn.
Dann legte er die schallgedämpfte Pistole in den Blechkasten zurück und verließ den Raum.
Die Klimaanlage des Beaderstadt-Towers interessierte ihn nämlich nicht die Bohne.
Etwas anderes hatte es ihm angetan - das elektronische Herz des Sicherheitssystems, das den Bau gegen jedwede Angriffe schützte und nahezu jeden Winkel darin überwachte.
Noch .
Die Bombe tickte schon - in Alec Mongrains Werkzeugkasten.
Explodieren würde sie anderswo .
*
Die Situation war seltsam unwirklich. Absurd. Und wäre das Szenario ein anderes, weniger beeindruckend, weniger bedrohlich, wäre alles nur lächerlich gewesen.
So aber war Lilith nicht zum Lachen zumute, nicht einmal zum Lächeln.
Sie fühlte sich ... hilflos. Verloren. Klein und nichtig.
Obwohl Max Beaderstadt nichts tat, was all dies gerechtfertigt hätte. Er war einfach, und das genügte. Seine pure Präsenz hatte etwas Raumfüllendes, drückte Dominanz aus, schien über jeden und alles ihren Schatten zu werfen.
Dabei war Max Beaderstadt als bloße Person nicht einmal sonderlich ehrfurchtgebietend: von durchschnittlicher Größe für einen Mann seines Alters (60, schätzte Lilith, vielleicht aber auch 70 ...), schlank an der Grenze zum Hageren und wenig kräftig. Sein Gesicht war schmal, die Augen darin eher klein, und sein graues Haar begann dünn zu werden. Allenfalls sein Bart war ungewöhnlich zu nennen: Links und rechts des Kinns sproß er, zwei gebogenen Hörnern gleich, deren Spitzen nach unten wiesen.
Nicht einmal seine Kleidung war besonders auffallend; teuer und maßgeschneidert, gewiß, aber nicht wirklich extravagant.
Trotzdem schien um ihn herum buchstäblich alles zu ersticken, wenn er atmete. Als sauge er allein allen Sauerstoff ein, nicht weil er ihn brauchte, sondern weil er ihm gehörte. Wie alles hier.
Dieses »alles hier« trug wohl nicht unerheblich zu Beaderstadts Wirkung bei.
Hatte Lilith draußen angesichts der gewaltigen Bibliothek und des musealen Raumes darunter schon die Luft angehalten, fühlte sie sich jetzt, da Beaderstadt sie in einen der Säle gebeten hatte, schier erschlagen!
Wären sie nicht sorgsam arrangiert
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