Über den Wassern
an die zweihundert Haudegen bei sich, mit mittelalterlichen Waffen, die überhaupt nichts taugten, ein, zwei Kanonen und ein paar Gewehren, die du für absurd halten würdest, eroberte das Land und nahm den Kaiser gefangen, einfach so. Ungefähr zur gleichen Zeit machte ein anderer Kerl namens Hernando Cortez genau das gleiche in einem Reich, das Mechico hieß und ebenfalls enorm reich war... Man kommt überraschend über sie, du denkst nicht mal an so was wie eine Möglichkeit der Niederlage, du marschierst einfach rein und schnappst dir, was sie dort so an Bonzen in Autoritätspositionen haben, und die fallen vor dir auf die Knie. Und dann gehört alles, was sie besitzen, dir!«
Lawler starrte Delagard sprachlos an.
»Nid, wir haben keinen Finger gerührt, um uns zu verteidigen, als wir von der Insel verjagt wurden, auf der wir hundertfünfzig Jahre lang gelebt haben, als uns die primitiven Hinterwäldlervettern deiner Super-Gillies vertrieben haben, weil wir wußten, daß wir keine Chance in einem Kampf gegen sie hatten. Und jetzt erklärst du mir, ohne schamrot zu werden, daß du die Absicht hast, mit bloßen Händen eine ganze hochüberlegene Zivilisation umzustürzen, und du lieferst mir dafür als Beispiel irgendwelche Volksmärchen aus dem ERDMittelalter über sagenhafte Königreiche, die von Heldengestalten irgendwelcher uralter Kulturkreise erobert wurden, bloß um mir zu beweisen, daß so was möglich ist? Nid! Gerechter Himmel!«
»Du wirst es sehen, Doc! Ich verspreche es dir!«
Lawler blickte in die Runde, ob einer ihn unterstützen wollte. Aber alle hockten mit glasigen Augen stumm da, als schliefen sie.
»Also, wieso verschwenden wir denn überhaupt unsere Zeit dafür?« fragte er. »Es gibt keine solche Stadt. Die Vorstellung schon ist unmöglich. Und du glaubst ja nicht eine Minute dran, Nid, oder? Oder? Glaubst du dran?«
»Das hab ich dir doch schon gesagt, vielleicht ja, vielleicht nicht. Jolly hat dran geglaubt.«
»Ja. Und Jolly war senil und verrückt.«
»Ach, eigentlich nicht, als er zum erstenmal wieder heim nach Sorve gekommen ist. Verrückt wurde er erst viel später, nachdem ihn die Leute jahrelang ausgelacht haben...«
Aber inzwischen hatte Lawler die Schnauze voll. Delagard sabberte und sabberte, und immer im Kreis, und nichts davon ergab irgendwie einen Sinn. Auf einmal war die stickige muffige Luft in der engen Kapitänskabine so dick wie Wasser und nicht mehr zu atmen. Erstickend. Lawler fühlte sich von einem würgenden klaustrophobischen Ekel und Schwindel gepackt. Er sehnte sich heftig nach seiner Taubkrauttinktur.
Er hatte jetzt begriffen, daß Delagard nicht bloß unter einer gefährlichen Zwangsvorstellung litt, sondern tatsächlich absolut wahnsinnig war.
Und wir alle sitzen hier am Ende der Welt, dachte Lawler, ohne Chance, da wieder wegzukommen, und noch nicht mal einen Ort, an den wir uns flüchten könnten - wenn wir irgendwohin flüchten könnten.
»Ich kann mir dieses Geseire einfach nicht mehr anhören«, sagte er, und seine Stimme klang halberstickt vor Zorn und Angewidertheit. Er stand auf und stürzte aus dem Raum.
»Doc!« rief Delagarde hinter ihm her. »Komm doch zurück! Verdammt noch mal! Doc! Komm zurück!«
Aber Lawler knallte die Tür hinter sich zu und stolperte weiter.
ALS ER DANN ALLEIN auf dem Deck stand, brauchte er sich gar nicht erst umzuwenden, er wußte einfach, daß Father Quillan ihm gefolgt war. Eine seltsame Erfahrung: Zu wissen, ohne daß man hinschauen mußte. Wahrscheinlich eine Nebenwirkung der wütenden Strahlungen, die vom ‚Antlitz’ über sie niedergingen.
»Delagard hat mich gebeten, daß ich dir folgen und mit dir reden soll«, sagte der Priester.
»Und worüber?«
»Über deinen Ausbruch da unten.«
»Mein Ausbruch?« fragte Lawler verblüfft. Er wandte sich dem Priester zu. In dem vielfarbigen Lichtergewirr, das rings um sie herum zuckte, wirkte Quillan noch hagerer als sonst, und sein schmales Gesicht schien aus einer Myriade von Flächen zusammengesetzt zu sein, die Haut schimmerte bräunlich und wie geölt, und die Augen blinkten wie Leuchtfeuer. »Was ist denn mit dem Ausbruch, den Delagard sich geleistet hat? Verschwundene Städte unter dem Meer! Aberwitzige Eroberungskriege, die sich auf irgendwelche dunkle Mythen und Märchen aus der fernsten Vergangenheit stützen!«
»Aber das waren keine erfundenen Lügengeschichten. Cortez und Pizarro sind kein Mythos, sie haben wirklich gelebt, und sie haben wirklich
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