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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Möglichkeit eines Brotberufs auf, der wenigstens nicht ganz ohne Beziehung wäre zur Berufung als Dichter. Briefe werden geschrieben und wieder verworfen und wieder geschrieben, im persönlichsten Ton, aber schon vor copy and paste mit wiederkehrenden Versatzstücken, an den, an den, an den auch, nein, an den zu schreiben ist aussichtslos, oder vielleicht doch?, versuchen kann man es, ein Versuch schadet nicht (Schiller hat schon halb zugesagt, behauptet er gegenüber dem Kleinverleger), nur um die Abfuhr Schillers in drastischeren Worten zu erhalten als befürchtet und den höflichen Schlußsatz auch noch fälschlich als Wohlmeinen und ehrliches Interesse zu deuten. In der Hoffnung, daß Schiller ihn dennoch zu sich rufen könne, schiebt Hölderlin nach seinem neuerlichen Schreiben die Abreise aus Homburg, wo er keine Beschäftigung und kein Geld mehr hat, monatelang hinaus. Aber Schiller antwortet nicht, auch nicht zwei Jahre später auf den letzten, schon flehentlichen Brief, Schiller antwortet nie mehr.
    Nun, mit Schiller war nicht zu rechnen. Aber nicht einmal der jüngere Schelling, der Hölderlin nun wirklich viel zu verdanken hat, erklärt sich zur Mitarbeit bereit. Den gequälten Ton der Absage des Saturierten an den erfolglosen Gefährten von einst kennt der Romanschreiber nur zu gut, als Unterzeichner und Empfänger. Man ist ja verpflichtet, man mag diesen armen, talentierten, etwas anstrengenden Menschen auch, der den Absprung ins wirkliche Leben verpaßt hat, man würde ihm auch etwas Geld zustecken, wenn es sich ohne Peinlichkeit bewerkstelligen ließe, und wäre auch sonst für manche Gefälligkeit bereit, sofern der Aufwand gering bliebe – aber seine eigenen, wertvollen Texte will man nun nicht in so ein publizistisches Loch stecken. Man hat auch so viel zu tun, will sich endlich einmal konzentrieren auf das eigene, große Werk, von den alltäglichen Problemen zu schweigen. »Ich bin jetzt eben in einer Lage u. Stimmung, die mir wenig zu schreiben erlaubt, was Deinen Brief auch nur inetwas vergelten könnte.« Später, bestimmt, das hoffe er sehr, werde sich seine Lage schon ändern (nicht daran denken, was einer wie Hölderlin später einmal sein wird, gewiß nicht Herausgeber einer bedeutenden Literaturzeitschrift). »Ich umarme dich. Dein treuer Freund Schelling.« 36 Wie sehr spricht Hölderlins Desillusionierung von 1799 im Jahr 2007 vom Romanschreiber, wenngleich der keineswegs um die physische Existenz fürchtet, sondern lediglich um seine Bequemlichkeit, nicht um das Papier, das Hölderlin sich nicht mehr leisten konnte, sondern weil er als Vater sonst nicht den Ansprüchen seines sozialen Standes mehr genügt. Von den viertausend verkauften Exemplaren seines vorigen Romans läßt sich der Klavierunterricht der Tochter jedenfalls nicht bezahlen, geschweige denn 150 Quadratmeter Altbau plus Büro in bevorzugter Lage Kölns. Das ist in dem Roman, den ich schreibe, auch ein O-Ton, aber des Romanschreibers 2007, der an manchen Stellen Navid Kermani genannt wird:
     
    Nicht nur Männer, deren Verehrer mehr als Freund ich mich nennen konnte, auch Freunde, Theure! auch solche, die nicht ohne wahrhaften Undank mir eine Theilnahme versagen konnten – ließen mich bis jetzt – ohne Antwort, und ich lebe nun volle 8 Wochen in diesem Harren und Hoffen, wovon gewissermaßen meine Existenz abhängt. Schämen sich denn die Menschen meiner so ganz? 37
     
    In den Briefen an die Mutter geht es bald nur noch ums Geld, floskelhaft bis hin zum Hohn das Kondolenzschreiben an die Schwester, deren Mann gestorben ist:
     
    Kann ich dir etwas seyn, so brauchst du es nur zu sagen
     
    beteuert er, um im nächsten Satz seine Geschäfte zu erwähnen,
     
    die gerade jetzt etwas dringender sind
     
    – als ob es für Hölderlin noch Geschäfte gäbe. Trost soll ausgerechnet die
     
    Gesellschaft und Unterstützung unserer guten Mutter 38
     
    sein, dieser Pfennigfuchserin, die sich in keinem einzigen Brief zufrieden über ihre Kinder äußert und über Hölderlins Dichtung schon gar nicht. Suzette meldet sich, aber nur um zu erklären, wann welches Zeichen welche Bedeutung haben würde. Die weiße Fahne zum Beispiel würde heißen: Verschwinde sofort, es ist gefährlich. Überhaupt in der Nähe ihres Hauses stehenzubleiben, sei nicht ratsam. Aus dem Fenster kann sie die Briefe nicht mehr werfen. Sie versteckt sie, und Hölderlin soll sie an der vereinbarten Stelle wohl im Vorübergehen auflesen.
     
    Wäre es aber

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