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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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allerdings tragisch gedeutete »Bleiben im Entwerden«, von dem die Sufis sprechen, beziehungsweise Heilignüchterne, wie Hölderlin selbst den Zustand nach der Ekstase nennt.
     
    Dein Feuer lebt’ in mir, dein Geist war in mich übergegangen. 28
     
    Zu Recht mißtraut Diotima Hyperions Gründen, sie zu verlassen, sie durchschaut ihn:
     
    Du wirst erobern, rief Diotima, und vergessen, wirst, wenn es hoch kommt, einen Freistaat dir erzwingen und dann sagen, wofür hab’ ich gebaut? ach! Es wird verzehrt seyn, all’ das schöne Leben, das daselbst sich regen sollte, wird verbraucht seyn selbst in dir! 29
     
    Hier erfindet Hölderlin das Motiv des Liebestods neu: Nicht Werther bringt sich um, sondern in der Logik des Hyperion -Romans wäre es das Lottchen, nicht Madschnun würde irre, sondern Leyla, nicht der Mensch, sondern Gott. Hölderlin überträgt den uralten Topos der Gottesschau als Horror vom Liebenden auf die Geliebte – wer sah, was ich sah, wird viel weinen und wenig lachen:
     
    Glücklich sind alle, die dich nicht verstehen. 30
     
    Die Gesuchte wird zur Suchenden, die Erkannte zur Erkennenden, der Grund zu leiden zum Leiden selbst. Es ist die Geliebte, die als Liebende sagt:
     
    Soll ich sagen, mich habe der Gram um dich getödtet? o nein! o nein! er war mir ja willkommen, dieser Gram, er gab dem Tode, den ich in mir trug, Gestalt und Anmuth. 31
     
    Diotima geht weiter, als Liebe je ging: Sie will den Haß des Geliebten nicht nur wie die literarischen Vorläufer ertragen, ihn nicht nur als eine Form der Zuwendung bejubeln – sie ist bereit, selbst zu hassen, nur um eins zu sein mit ihm:
     
    Ich glaube, wenn du mich hassen könntest, würd’ ich auch da sogar dir nachempfinden, würde mir Mühe geben, dich zu hassen und so blieben unsre Seelen sich gleich und das ist kein eitelübertrieben Wort. 32
     
    Für den Menschen, der sich aufplustert – der sanfte Jüngling, der zu ihren Füßen geweint, verwandelt in dieses »rächerische Wesen« 33 –, opfert sich Gott am Kreuz. So überträgt Hölderlin seinen Gedanken des Liebestodes, den er Suzette nicht anvertraut, im Roman auf Diotima und eben nicht auf Hyperion:
     
    Der Tag, nachdem sie dir zum letztenmal geschrieben, wurde sie ganz ruhig, sprach noch wenig Worte, sagte dann auch, daß sie lieber möcht’ im Feuer von der Erde scheiden, als begraben seyn, und ihre Asche sollten wir in eine Urne sammeln, und in den Wald sie stellen, an den Ort, wo du, mein Theurer! ihr zuerst begegnet wärst. Bald darauf, da es anfieng, dunkel zu werden, sagte sie uns gute Nacht, als wenn sie schlafen möcht’, und schlug die Arme um ihr schönes Haupt; bis gegen Morgen hörten wir sie athmen. Da es dann ganz stille wurde und ich nichts mehr hörte, ging ich hin zu ihr und lauschte. . . . Doch immer besser ist ein schöner Tod, Hyperion! denn solch ein schläfrig Leben, wie das unsre nun ist. 34
     
    Diotima ist nicht Suzette Gontard. Hyperion ist auch nicht mehr Hölderlin. Sie sind größer, wie Gott größer ist. Und zwischen die Korrespondenz intimsten Begehrens, die Tagebucheinträge mit ihren Selbstmordgedanken, die Oden tiefster Verzweiflung und höchster Dramatik eingestreut die wenigen überlieferten Mitteilungen des Ehemanns an Bekannte, wonach es Suzette gut gehe, nichts Besonderes, alles prima; ja ja, so eine kleine Erkältung, aber die ist überwunden. Mit den Dokumenten liefert das Schnäppchen die Banalität mit, die allem Heiligen eingeschrieben ist und es zerriss.
    Wie die Nöte des Alltags Stück für Stück, Absage um Absage in den Vordergrund ausgerechnet von Hölderlins Leben rücken, der sich radikaler als alle Zeitgenossen der Dichtung verschrieben und den Dichter zum Propheten erhoben hat, ergreift mehr als alle Bildungsromane der Romantik und des Realismus. Am 16. November 1799 schreibt er der Schwester:
     
    Ich muß dir das einfältige Geständniß machen, daß es mich oft inkommodirt, nicht mehr der reiche Mann in Frankfurt zu seyn, um meinen Neffen zuweilen eine kleine Freude machen zu können. 35
     
    Zu der Zeit muß er zum Bedauern D. E. Sattlers, dem dadurch bedeutende Schriftstücke verloren gingen, aus Papiermangel für Briefe schon häufig die Rückseiten von Manuskriptblättern verwenden, die er nicht vollendete. Mit dem Angebot, weniger: der Inaussichtstellung, bei einen kaum bekannten, wenn nicht obskuren Kleinverlag eine Zeitschrift herauszugeben, sofern er ausreichend Prominenz zur Mitarbeit bewegt, flackert die

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