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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Stelle, wo der alte Himmel und die alte Erde mir lacht. Denn alle Götter des Himmels und alle göttlichen Menschen der Erde vergeß’ ich in dir. 15
     
    Keine andere Dichtung wäre ohne das Leben so viel weniger als diese, die gerade nicht Erlebtes zum Ausdruck bringen, sondern absolute, geradezu substanzlose Poesie sein will. Die Briefe Hyperions an Diotima erscheinen dem Romanschreiber so geschraubt wie in der ersten Lektüre. Die Briefe von Suzette Gontard, der Diotima in Hölderlins realem Leben, die ich zwischen den Bruchstücken lese, sind für sich keine Literatur. Aber die Behauptung der denkbar reinsten Liebe unterbrochen vom Wut- und Selbstbehauptungsschrei auf reale Verhältnisse, die sich von der beschämenden Heimlichkeit auch noch viel zu rasch in die niederschmetternde Unerfülltheit wandten, wird zur schwarzen Schau. »Alle 2 Monathe den bestimmten Donnerstag Abends 9 Uhr unter dem Fenster mit der allergrößten Vorsicht« solle Hölderlin erscheinen, bittet Suzette: »Ich würde dann sehen, daß du noch und gesund bist. Wie viel ist das schon für mein Herz!«Weil Briefe entdeckt werden können und daher nicht ratsam sind, späht sie in seinen Schriften »wie dir wohl zu Muthe ist und dich gewiß darin erkennen.« 16 Natürlich späht der Roman, den ich schreibe, mit ihr. Hölderlin hat die Liebe ja geschmeckt (und zwar nicht als philosophische Idee, sondern während des Aufenthalts in Bad Driburg im Spätsommer 1796 doch wohl aufgesogen aus allen Körperöffnungen Suzettes tief, ihren Schweiß, als man sich noch nicht täglich duschte, ihre Lust damals noch anrüchiger vermischt mit Urin), hat wie die vielen Gottsucher, die darüber närrisch wurden, als körperliche Erschütterung erfahren, daß es die Einswerdung gäbe – aber nur für ihn nicht gibt, nicht mehr, nie wieder.
     
    Was ist’s denn, daß der Mensch so viel will? Was soll denn die Unendlichkeit in seiner Brust? Unendlichkeit? wo ist sie denn? wer hat sie denn vernommen? Mehr will er, als er kann! das möchte wahr seyn! O, das hast du oft genug erfahren. 17
     
    Das Verlangen verliert nichts von seiner poetischen Höhe und Vieldeutigkeit, wenn man seinen praktischen Boden kennt: einmal, nur einmal von Suzette mehr zu empfangen als einen Zettel, den er alle zwei Monate aus dem Gras vor ihrem Fenster aufliest, sofern die Umstände günstig sind und niemand ihn beobachtet. Doch die Befriedung reduziert sich darauf, daß die vereinbarte Uhrzeit um zwei Stunden nach hinten verlegt wird, damit er in Homburg nicht schon vor dem Morgengrauen aufbrechen muß zu seinem Stelldichein in Frankfurt. Eine solche Erleichterung ist Hohn. »Besser ein Opfer der Liebe, als ohne sie noch leben«, 18 redet sich Suzette stark, doch Hölderlins Kräfte zur romantischen Überhöhung schwinden. Zuerst konzediert er noch:
     
    Es ist wohl der Thränen wert, die wir seit Jahren geweint, daß wir die Freude nicht haben sollten, die wir uns geben können
     
    Wenige Zeilen später bricht es aus ihm heraus:
     
    aber es ist himmelschreiend, wenn wir denken müssen, daß wir beide mit unsern besten Kräften vielleicht vergehen müssen, weil wir uns fehlen. 19
     
    Immer habe er die Memme gespielt, um sie zu schonen, schreibt Hölderlin an Suzette, hätten sie beide getan, als könnten sie sich ins Unvermeidliche schicken, habe sie heldenhaft geduldet, doch:
     
    dieser ewige Kampf und Widerspruch im Innern, der muß dich freilich langsam tödten, und wenn kein Gott ihn da besänftigen kann, so hab’ ich keine Wahl, als zu verkümmern über dir und mir, oder nichts mehr zu achten als dich und einen Weg mit dir zu suchen, der den Kampf uns endet. 20
     
    Den Gedanken an einen gemeinsamen Freitod behält Hölderlin freilich für sich – der Brief bricht inmitten des nächsten Satzes ab und wird nie abgesandt. Wie in aller mystischen Dichtung konvergieren Außen- und Innenwelt, Sein und Gegenüber, wird die Sehnsucht nach der Geliebten ununterscheidbar von der Sehnsucht nach dem Absoluten, ist Vereinigung sexuell und seelisch zugleich gemeint.
     
    Ich sollte schweigen, sollte vergessen und schweigen. Aber die reizende Flamme versucht mich, bis ich mich ganz in sie stürze, und, wie die Fliege, vergehe. 21
     
    Der Liebende gibt sich nicht jemandem hin, er gibt sich auf; nicht Aufopferung, denn sie impliziert, daß einem Gegenüber geopfert wird, vielmehr Auflösung im Gegenüber, damit Vernichtung, um geheilt zu werden: Stirb, bevor du stirbst, wie es der

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