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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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einmal der Welt jene weitläuftig berichten will – wie gesagt, ich halt’ es selber für eine Narrheit, wenn ich mir zuweilen einbilde, es sei möglich, daß ich etwan – da in der orientalischen Geschichte die Beispiele davon tausendweise da sind – gar ein unbenannter Knäsensohn oder Schachsohn oder etwas Ähnliches wäre, das für den Thron gebildet werde und dem man nur seine edle Geburt verstecke, um es besser zu erziehen. So etwas nur zu überlegen, ist schon Tollheit; aber so viel ist doch richtig, daß aus der Universalhistorie die Beispiele nicht auszukratzen sind, wo mancher bis in sein 28stes Jahr – ich bin um zwei Jahr älter – nicht ein Wort davon wußte, daß ein asiatischer oder anderer Thron auf ihn warte, wovon er nachher, wenn er darauf kam, prächtig herunter regierte. Setze man aber, ich würde aus einem Jean ohne Land ein Johann mit Land, so ging’ ich sofort aufs Billard und sagte jedem, wen er vor sich hätte. 14
     
    Die Biographien Jean Pauls tragen anders als die Wäschelisten Hölderlins, die die Frankfurter Ausgabe zusammenträgt, nur Äußerlichkeiten zum Verständnis bei. Manchmal wirkt Jean Paul auf mich wie ein Alleinunterhalter, der immerfort redet, brillant redet, witzig redet, klug redet, mich an die Wand redet, um nichts – nein!, nicht nichts zu sagen, das ist natürlich Unsinn – um durch Budenzauber vom Wesentlichen abzulenken, das auch bei ihm oft genug das Grauenvolle ist. Er ist geistreich, unglaublich gebildet, beschlagen auf allen Gebieten, charmant, eloquent, aber je länger er mich begleitet, desto mehr glaube ich an das, was er verbirgt. Ja, wie ein Exhibitionist wirkt er manchmal auf mich, der nur deshalb frech die Scham entblößt, damit niemand auf seine traurigen Augen achtet. Aufregend wäre das Manische – als ob er nicht aufhören könnte zu glänzen, selbst wenn das Publikum längst nach Hause gegangen oder nie zur Vorstellung gekommen sein sollte, hier noch eine Pirouette um das eigene Ich, wenn Jean Paul im Quintus Fixlein über einen Jean Paul schreibt, der sich als Quintus Fixlein ausgibt, den wiederum Jean Paul erdichtet hat, dort noch einmal ein Doppelachter, wenn Jean Paul im Siebenkäs einen Romanschreiber, der nicht Jean Paul heißt, über einen Romanschreiber namens Jean Paul sagen läßt:
     
    Jean Paul, der die Geschichte schon vorgestern wußte und also die kühlende Methode ebensolange vor mir gebraucht hatte, will an meiner Stelle die Gemäldeausstellung unserer insularischen Blumenstücke besorgen und ein Nachschreiben anschließen. Recht! Denn ich könnt’ es heute wahrlich nicht. 15
     
    Was schließlich die Leser betrifft, von den zeitgenössischen bis zu den heutigen, den Gelehrten und Laien, haben sie Hölderlin und Jean Paul, soweit ich sehe, kaum je in einen Zusammenhang gebracht, verglichen oder im Titel einer Studie gemeinsam angeführt. Die Leser haben ja recht, die zeitgenössischen und die heutigen, die Gelehrten und die Laien – was Jean Paul und Hölderlin gemeinsam, sind Orte, Daten, Bekannte, Förderer und Verächter. Gewiß könnte man die eine oder andre Verbindung in ihrem Werk aufzeigen, aber in der Summe ginge es nicht über das hinaus, was an zwei beliebigen Dichtern derselben Zeit, Sprache, Konfession und Herkunft an der einen oder anderen Stelle immer an Vergleichbarem zu finden sein wird. Es bliebe zufällig. Ich bin es, für den Jean Paul und Hölderlin notwendig verbunden sind, da ich sie zur selben Zeit, aus derselben Not, mit derselben Ahnungslosigkeit las. Ich bin die Verbindung, die den Einwänden der Germanisten nicht Stand hielte und so willkürlich gesetzt ist, wie es Jean Paul in der Vorschule Gott zuschreibt und dem Romanschreiber erlaubt, damit jede Entwicklung eine höhere Verwicklung sei. Hölderlin sagt:
     
    Alles kommt also darauf an, daß das Ich nicht blos mit seiner subjectiven Natur, von der es nicht abstrahiren kann ohne sich aufzuheben, in Wechselwirkung bleibe, sondern daß es sich mit Freiheit ein Objeckt wähle, von dem es, wenn es will, abstrahiren kann, um von diesem durchaus angemessen bestimmt zu werden und es zu bestimmen. 16
     
    Jean Paul sagt etwas völlig anderes:
     
    Kein Mensch in der Welt gewinnt durch eine Selbstbiographie; sie also zu schreiben, ist Demuth. 17
     
    Ich bin Gott, sagen die Mystiker beides. Was sie, was ich, was sowohl Jean Paul als auch Hölderlin meinen könnten, was überhaupt in dem Satz »Ich bin Gott« auf die Literatur übertragen mit Gott

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