Ueber Deutschland
historische Wahrheit nicht nur mehr Natürliches, sondern auch mehr Großes, als die Dichtung.
In der Braut von Messina ging Schiller von seinem bisher befolgten und nachher gottlob! von ihm wieder angenommenen dramatischen Systeme ganz ab. Um den Chor auf das Theater bringen zu können, wählte er einen Gegenstand, in dem nichts neues ist, als die Nahmen denn die Braut von Messina ist im Grunde kein anderes Stück, als die feindlichen Brüder der griechischen Bühne. Nur hat Schiller noch eine Schwester eingeführt, in die sich beide Brüder verlieben, ohne zu wissen, wer sie ist, und die den einen aus Eifersucht zum Mörder des andern macht. Dieser, an sich, schauderhafte Stoff ist mit Chören durchwebt, die mit dem Stücke in Verbindung stehen. Sie bestehen aus dem Gefolge beider Brüder, und unterbrechen und erkälten alle Augenblick das Interesse durch wechselseitige Erörterungen und Gespräche. Die lyrischen Stücke, die sie, alle zugleich, hersagen, sind prächtig; gleichwohl sind diese Chöre, bei aller Kraft ihrer Urtheile, doch bloße Kammerherrensentenzen. Das gesammte Volk kann allein jene unabhängige Würde in sich haben, die es ihm gestattet, ein unpartheiischer Zuschauer zu seyn. Der Chor vertritt die Stelle der Nachwelt. Würde er von persönlichen Affecten hervorgebracht, so müßte es ins Lächerliche fallen; den Stimmeneinklang Mehrerer darf man sich nicht anders erklären, als daß man ihn für den leidenschaftlosen Ausdruck ewiger Wahrheit hält.
In seiner Vorrede zur Braut von Messina, beschwert sich Schiller mit Recht, daß in der modernen gemeinen Welt nicht mehr jene einfachen Formen des Volkslebens vorkommen, die sie in die alte poetische zurück versetzen. «Der Pallast der Könige (sagt er) ist jetzt geschlossen; die Gerichte haben sich von den Thoren der Städte in das Innere der Häuser zurückgezogen; die Schrift hat das lebendige Wort verdrängt; das Volk selbst, die sinnlich-lebendige Masse ist, wo sie nicht als rohe Gewalt wirkt, zum Staat, folglich zu einem abgezogenen Begriff geworden; die Götter sind in die Brust der Menschen zurückgekehrt. Der Dichter muß die Palläste wieder aufthun, er muß die Gerichte unter freien Himmel herausführen, er muß die Götter wieder aufstellen, er muß alles Unmittelbare, das durch die künstliche Einrichtung des wirklichen Lebens aufgehoben ist, wieder herstellen, und von allen äussern Umgebungen der Menschen nichts aufnehmen, als was die höchste der Formen, die menschliche, sichtbar macht.»
Diese Sehnsucht nach andern Zeiten, nach andern Gegenden, ist eine rein-poetische Empfindung. Der religiöse Mensch bedarf des Himmels, der Dichter bedarf einer neuen Erde; nur weiß man nicht, welchen Gott oder welche Götter, welches oder welche Jahrhunderte die Braut von Messina in uns zurückrufen soll; sie geht aus den modernen Einrichtungen hinaus, ohne uns in die Zeiten des Alterthums zu versetzen. Der Dichter bringt alle Religionen auf einen Punct zusammen; eine Verwirrung, die die hohe Einheit der Tragödie, die Einheit des alles leitenden Schicksals, zerstört. Die Lagen, die Begebenheiten sind gräßlich; gleichwohl läßt das Entsetzen, welches sie erregen, den Zuschauer ruhig. Der Dialog ist so lang, die Rede so auseinander gesetzt, als hätte jeder nichts zu thun, als schöne Verse herzusagen; als könne man lieben, Eifersucht fühlen, den Bruder hassen, den Bruder morden, ohne aus dem Kreise der allgemeinen Betrachtungen und der philosophischen Gedankenreihe herauszutreten.
Man findet gleichwohl in der Braut von Messina bewundernswürdige Spuren von Schillers schönem Genie. Don Cäsar hat seinen Bruder Don Manuel erschlagen. Der Leichnam wird in den Pallast zurückgebracht. Die unglückliche Mutter weiß noch nicht, wen sie verlor; und der Chor, der dem Leichenzuge vorangeht, soll sie darauf vorbereiten:
Durch die Straßen der Städte,
Vom Jammer gefolget,
Schreckt das Unglück. –
Laurend umschleicht es
Die Häuser der Menschen,
Heute an dieser
Pforte klopft es,
Morgen an jener,
Aber noch keinen hat es verschont.
Die unerwünschte
Schmerzliche Bothschaft
Früher oder später
Bestellt es an jeder
Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt.
Wenn die Blätter fallen
In des Jahres Kreise,
Wenn zum Grabe wallen
Entnervte Greise,
Da gehorcht die Natur
Ruhig nur
Ihrem alten Gesetze,
Ihrem ewigen Brauch,
Da ist nichts, was den Menschen entsetze!
Aber das Ungeheure auch
Lerne erwarten im irdischen Leben!
Mit gewaltsamer
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