Ueber Deutschland
es, den Wüthrich zu besänftigen, der ihn des grausamsten Todes sterben lassen will. Ein Greis, des Kindes Großvater, wirft sich dem Tyrannen zu Füßen. Der Knabe aber, von dessen Kopfe der Apfel abgeschossen werden soll, zieht ihn zurück und spricht:
Großvater, kniet nicht vor dem falschen Mann!
Sagt, wo ich hinstehen soll, ich fürcht' mich nicht.
Der Vater trift den Vogel ja im Flug,
Er wird nicht fehlen auch das Herz des Kindes.
Stauffacher.
Herr Landvogt, rührt euch nicht des Kindes Unschuld?
Gessler (zeigt auf den Knaben).
Man bind' ihn an die Linde dort!
Walther Tell.
Mich binden?
Nein, ich will nicht gebunden seyn. Ich will
Still halten, wie ein Lamm und auch nicht athmen.
Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ichs nicht,
So werd' ich toben gegen meine Bande.
Rudolph der Harras (Geßlers Stallmeister).
Die Augen nur laß dir verbinden, Knabe.
Walther Tell.
Warum die Augen? Denket ihr, ich fürchte
Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest
Erwarten und nicht zucken mit den Wimpern.
Frisch, Vater, zeig's, daß du ein Schütze bist;
Er glaubt dir's nicht, er denkt uns zu verderben.
Dem Wüthrich zum Verdrusse, schieß', und triff.
Der Knabe stellt sich unter die Linde. Man legt ihm den Apfel auf. Itzt beschwören die Schweizer Geßlern von neuem, dem Tell den Versuch zu erlassen.
Gessler.
Ans Werk! man führt die Waffen nicht vergebens.
Gefährlich ist's, ein Mordgewehr zu tragen,
Und auf den Schützen springt der Pfeil zurück.
Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt.
Beleidiget den höchsten Herrn des Landes.
Gewaffnet sei niemand, als wer gebietet.
Freut's euch den Pfeil zu führen und den Bogen,
Wohl, so will ich das Ziel euch dazu geben.
Tell.
(spannt die Armbrust, und legt den Pfeil darauf.)
Oeffnet die Gasse! Platz!
Alles bebt für ihn, warnt ihn:
Tell (läßt die Armbrust sinken).
Mir schimmert's vor den Augen!
(Zum Landvogt.)
Erlasset mir den Schuß. Hier ist mein Herz.
(Er reißt die Brust auf.)
Ruft eure Reisige und stoßt mich nieder!
Gessler.
Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuß.
Tell steht im fürchterlichen Kampf, mit den Händen zuckend, und die Augen bald auf dem Landvogt, bald zum Himmel gerichtet. – Plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen zweiten Pfeil heraus, und steckt ihn in den Gürtel. Er rafft sich zusammen, legt an, mit vorgebogenem Leib, zielt. – Viele Stimmen rufen:
Der Apfel ist gefallen!
Der Knabe lebt!
Der Sohn kommt mit dem Apfel gesprungen, stürzt sich in die Arme des kraftlos zusammensinkenden Vaters, und ruft:
Hier ist der Apfel! Wußt' ich's ja,
Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.
Alle versammeln sich um Tell, ihm Glück zu wünschen, ihn nach Hause zu geleiten; als
Gessler (ruft).
Tell, höre! Du stecktest
Noch einen zweiten Pfeil zu dir. Ja ja
Ich sah es wohl. Was meintest du damit?
Tell (verlegen).
Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.
Gessler.
Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten;
Es wird was anders wohl bedeutet haben.
Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Tell;
Was es auch sei, dein Leben sichr' ich dir.
Wozu der zweite Pfeil?
Tell.
Wohlan, o Herr,
Weil Ihr mich meines Lebens habt gesichert,
So will ich euch die Wahrheit gründlich sagen.
Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich – Euch,
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Eurer wahrlich hält' ich nicht gefehlt.
Der wüthende Landvogt ruft seinen Knechten zu, ihn zu binden und in das Gefängniß abzuführen.
Dieser Auftritt hat die ganze Einfalt einer Erzählung aus einer alten Chronik. Tell wird nicht als ein tragischer Held aufgestellt; er hatte es sich nicht vorher vorgenommen, Geßlern Trotz zu bieten; er gleicht in Allem den Schweizerbauern; still in ihrem gewöhnlichen Wesen, Freunde der Ruhe, aber fürchterlich, wenn man in ihrem Gemüth die Empfindungen aufregt, die vom Landleben eingewiegt werden; so sind sie, so war auch Tell. Nicht weit von Altorf im Canton Uri befindet sich eine grob ausgehauene Statue von Tell und seinem Sohne, nachdem er ihm den Apfel vom Kopfe geschossen. Mit der einen Hand hält er den Sohn umklammert, mit der andern drückt er den Bogen an sein Herz, und scheint ihm zu danken, daß er ihm den treuen Dienst geleistet.
Tell wird, in Ketten und Banden geschlagen, auf dasselbe Schiff gebracht, welches Geßlern über den See von Lucern fahren soll. Ein Sturm erhebt sich während der Fahrt; der Tyrann fürchtet für sein Leben, er sucht bei seinem Gefangenen Hülfe; Tell wird
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