Ueber Deutschland
gleichwohl ist dieser Contrast, der so schön beim Lesen gefällt, auf der Bühne von keiner Wirkung. Ueberhaupt bedarf es, zum dramatischen Effect, nicht so sehr des Geistes als des Gefühls; der Geist ist vonnöthen, diesen Effekt vorzubereiten; bedürfte es aber des Geistes, ihn zu fühlen, so würde das geistreichste Publikum sich dafür bedanken.
Man läßt bei den Vorstellungen die Auftritte mit Johann Parricida weg und der Vorhang fällt, sobald der Pfeil Geßlers Herz durchbohrt hat. Kurz nach der ersten Darstellung seines Tell, durchbohrte auch der Todespfeil den edlen Verfasser des schönen Kunstwerks. Geßler starb im Augenblick, wo ihn die grausamsten Entwürfe beschäftigten. Schiller hatte nie andre, als die edelsten Gedanken. Die mächtige Hand des Todes, dieses ewigen Feindes aller menschlichen Vorsätze, zerbrach den einen Willen, wie den andern.
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Ein und zwanzigstes Capitel. Götz von Berlichingen und Egmont.
Goethe's dramatische Laufbahn läßt sich unter einen doppelten Gesichtspunkt bringen. In den Stücken, die er für die Bühne schrieb, liegt viel Geist und Anmuth; mehr darf man aber nicht darin suchen. In seinen dramatischen Werken hingegen, die sehr schwer aufzuführen sind, herrscht ein ausserordentliches Talent. Es scheint, als ließe sich Göthe's Genie nicht in die Gränzen des Theaters einschließen; sobald er sich ihnen unterwerfen will, verliert er einen Theil seiner Originalität; er findet sie nicht eher ganz wieder, als bis er es sich herausnimmt, alle Gattungen nach Gefallen untereinander zu werfen. Eine Kunst, sey's welche sie wolle, darf nicht ohne Gränzen seyn; die Malerei, die Bildnerei, die Baukunst sind Gesetzen unterthan, die ihnen eigenthümlich angehören; eben so bringt die dramatische Kunst nur unter gewissen Bedingungen gewisse Wirkungen hervor; bisweilen schränken diese Bedingungen das Gefühl und den Gedanken ein; allein die Gewalt der Schaubühne über die versammelte Menge ist so groß, daß man Unrecht thun würde, sich dieser Gewalt nicht zu bedienen, unter dem Vorwande, sie verlange Opfer, zu welchen die sich selbst überlassene Einbildungskraft sich nicht verstanden haben würde. In Deutschland, wo es keine Hauptstadt giebt, in der sich alles zusammenfindet, was zu einer guten Bühne erfordert wird, werden dramatische Werke öfter gelesen als aufgeführt; daher kommt es denn, daß der Verfasser mehr für den Leser, als für den Zuschauer arbeitet.
Göthe stellt fast immer neue Versuche in der Literatur an. Sobald der teutsche Geschmack sich in seinen Augen zu sehr nach einer Seite hinneigt, ist er bemüht, ihm eine entgegengesetzte Richtung zu geben. Es ist, als schalte er mit dem Geiste seiner Zeitgenossen, wie ein Souverain mit seinem Reiche, als sei jedes seiner Werke ein Decret, welches die Mißbräuche, die sich in das Gebiet der Kunst einschlichen, abwechselnd begünstigt und ächtet.
Göthe war der Nachahmung französischer Theaterstücke auf deutschen Schaubühnen überdrüßig, und er hatte Recht; ein Franzose selbst würde sie so gut satt haben wie er. Er schrieb also ein historisches Drama nach Shakespearischer Manier, und betitelte es Götz von Berlichingen. Das Stück war nicht eigentlich für die Bühne bestimmt, konnte doch aber, wie alle Shakespearischen, aufgeführt werden. Göthe hat denselben Zeitraum gewählt als Schiller in seinen Räubern; allein, anstatt einen Menschen zu malen, der sich aller Fesseln der Moral und der Gesellschaftlichkeit entledigt, stellt er einen Ritter der alten Zeit unter Maximilian I. auf, einen Vertheidiger des Ritterthums, und der Lehnsexistens des Adels, die der persönlichen Tapferkeit so günstig war.
Götz von Berlichingen führt den Zunahmen «mit der eisernen Hand» weil er die im Kriege verlorne Rechte mit einer von Eisen ersetzte, die aus Springfedern bestand, und deren er sich zu Lanze und Schwert bediente; er war zu seiner Zeit durch Muth und Biedersinn berühmt. Göthe hat sein Muster gut gewählt; er wollte in ihm die Unabhängigkeit des Adels aufstellen, ehe dieser Stand dem Ansehen der Regierung unterliegen mußte. In dem Mittelalter war jedes Schloß eine Feste, jeder Edelmann ein kleiner Fürst. Die Einrichtung der stehenden Heere und die Erfindung des Geschützes brachte in der gesellschaftlichen Ordnung eine Hauptveränderung vor, führte eine Art von abstrakter Gewalt ein, die man Staat oder Nation nannte; von diesem Augenblick an verlor jeder Einzelne
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