Ueber Deutschland
seltsamen Umsprung im Geschmack, hatten die Deutschen es unsern dramatischen Dichtern anfangs zum Verbrechen gemacht, daß sie alle ihre Helden französirten; sie haben, und das mit Recht, die historische Wahrheit zum Hauptbedürfniß gemacht, wodurch den Farben Leben, und der Poesie Seele gegeben werden kann; und jetzt, ihrer eigenen Erfolge satt, sind sie plötzlich mit abstracten Stücken aufgetreten, wenn man sie so nennen darf, worin die Verhältnisse der Menschen zu den Menschen allgemein angedeutet sind, ohne Zeit, Ort und Person für etwas gelten zu lassen. So nennt zum Beispiel Göthe, in einem seiner Stücke, der natürlichen Tochter, seine Personen: der Herzog, der Vater, die Tochter etc. ohne weitere Bezeichnung; der Zeitraum, wo die Handlung vorgeht, der Ort, die handelnden Personen, sind ihm weiter nichts als ein prosaischer Hausstand, mit dem sich die Poesie nicht befassen darf.
Eine solche Tragödie ist eigentlich gemacht, in Odins Pallast aufgeführt zu werden, wo die Todten ihre Lebensbeschäftigungen fortsetzen; wo der Schatten des Jägers den Schatten des Hirsches verfolgt, und die sich Schattenbilder von Kriegern auf Wolkengebilden herumschlagen. Es scheint, als fühle Göthe seit einiger Zeit vor allem Interesse in Schauspielen einen Widerwillen. Weil man sich für schlechte Stücke interessirte, hat er gute ohne Interesse aufstellen wollen. Gleichwohl thut ein höherer Geist unrecht, wenn er das verachtet, was allgemein gefällt; er darf seine Aehnlichkeit mit der Natur Aller nicht verläugnen, wenn er seine Vorzüge vor Andern geltend machen will. Der Stützpunkt, den Archimedes verlangt, um die Erde fortrücken zu können, ist derjenige, wodurch ein außerordentliches Genie sich den gemeinen Naturen nähert. Dieser Berührungspunkt dient ihm. sich über alle übrigen zu erheben; er muß von dem ausgehen, was wir alle empfinden, um das empfinden zu lassen, was er allein bemerkt hatte. Ueberdieß, wenn es wahr ist, daß der Despotismus des Schicklichen den schönsten französischen Tragödien einen Anstrich von Künstlichkeit giebt, so ist es nicht minder wahr, daß in den seltsamen Theorien des systematischen Geistes eben so wenig Wirklichkeit anzutreffen ist. Das Uebertriebene ist eine Manier; aber eine gewisse Ruhe und Kälte ist es nicht weniger. Durch diese Ruhe maßt man sich ein Vorrecht über die Erschütterung des Gemüths an, welche zwar in der Philosophie eingeräumt werden kann, nicht aber im Gebiet der dramatischen Kunst statt finden darf.
Es muß ohne Bedenken erlaubt seyn, mit critischen Anmerkungen gegen Göthe aufzutreten, da bekanntlich Göthe fast alle seine Schriften nach verschiedenen Systemen ausgearbeitet hat; bald überläßt er sich der Leidenschaft, wie in Werther und Egmont; ein andermal erschüttert er alle Saiten der Einbildungskraft durch seine vermischte Gedichte; dann ist er einfach wie die Alten, in Hermann und Dorothea; endlich stürzt er sich mit Faust in den Strudel des Lebens; und nun wieder, in Torquato Tasso, in der natürlichen Tochter, sogar in Iphigenia, betrachtet er die dramatische Kunst als ein Denkmahl, bei Gräbern errichtet. Hier haben dann seine Werke die schönen Umrisse, den Glanz und die Glätte des Marmors, aber auch dessen kalte Unbeweglichkeit. Man kann über Göthe nicht urtheilen, als über einen Schriftsteller, der in einer Gattung Gutes, in der andern Schlechtes geliefert hat. Man könnte ihn eher mit der Natur vergleichen, welche Alles und von Allem etwas hervorbrachte; es mag erlaubt seyn, sein südliches Clima dem nördlichen vorzuziehen, ohne deswegen in ihm die Talente zu verkennen, die mit diesen Regionen des Gemüths im Einklang stehen.
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Drei und zwanzigstes Capitel. Faust.
Unter den gemeinen Puppenspielen giebt es eines: Doctor Faust betitelt, welches von jeher viel Glück in Deutschland gemacht hat. Vor Göthe hatte schon Lessing sich mit der Bearbeitung des Stoffs beschäftigt. Das Wundermährchen von Doctor Faust beruht auf einer allgemein bekannten Volkslegende. Einige englische Schriftsteller haben gelehrte Werke über den Doctor Faust und sein Leben herausgegeben; sie schreiben ihm die Erfindung der Buchdruckerkunst zu. Seine ausgebreitete Wissenschaft konnte ihn vor der Langweile des Lebens nicht schützen; er versuchte (so erzählt die Legende), um diesem Seelenaussatze zu entgehen, einen Bund mit dem Teufel zu schließen, und der Teufel holte ihn am Ende. Diese wenigen Umstände haben Göthe
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