Ueber Deutschland
den Stoff zu dem seltsamen Werke gegeben, welches ich mir zu zergliedern vornehme.
Man darf in diesem Werke weder den Geschmack, noch die Regelmäßigkeit, noch die Kunst suchen, welche auswählt und vollendet; wenn sich aber die Einbildungskraft ein geistiges Chaos eben so denken könnte, wie man oft das materielle Chaos beschrieben hat, so hätte Göthe's Faust das Kind, das Werk dieses geistigen Chaos seyn müssen. Es ist unmöglich, die Keckheit der Gedanken weiter zu treiben, und nach dem Lesen des Faust, oder wenn man auch nur daran denkt, ergreift uns immer eine Art von Schwindel. Der Teufel selbst ist der Held des Stücks; der Verfasser denkt sich ihn aber nicht als ein scheußliches Schreckbild, wie man es den Kindern gewöhnlich vormalt; er hat ihn, wenn ich so sagen darf, zur Quintessenz des Bösen gemacht, in Vergleichung dessen alle Bösen, selbst der Méchant des Gresset, lauter Neulinge, und kaum würdig sind, dem Mephistopheles (so heißt der Teufel, der sich Faust zum Freunde und Begleiter anbietet) die Schuhriemen aufzulösen. Göthe hat sich in diesem zugleich wirklichen und phantastischen Wesen, den bittersten Spott erlaubt, dem der Hohn je Worte lieh, und zugleich eine ergötzliche Keckheit von guter Laune. Es herrscht in den Reden des Mephistopheles eine höllische Ironie, die die gesammte Schöpfung angreift und die Welt als ein schlechtes Buch beurtheilt, zu dessen Recensenten sich der Teufel gemacht hat.
Mephistopheles spottet über den Verstand selbst, und sucht ihn lächerlich zu machen, sobald er uns auffordert, an irgend etwas ernsthaftem Antheil zu nehmen, vorzüglich aber, wenn er uns Vertrauen in unsre eigene Kräfte einflößt. Es ist sonderbar, daß gerade die größte Bosheit und die göttliche Weisheit in diesem Punkt zusammentreffen; daß beide die Leere und die Schwäche von allem, was auf Erden ist, anerkennen; wenn aber jene diese Wahrheit nur deswegen aufstellt, uns das Gute zu verleiden, so thut es diese nur, uns über das Böse zu erheben.
Fände sich in Faust nichts weiter als stechender philosophischer Spott, so würde man diese Gattung von Witz mit dem vergleichen können, der in mehreren Schriften Voltaire's zu Hause ist; so aber liegt in diesem Stücke eine Einbildungskraft von ganz andrer Art zum Grunde. Nicht allein die moralische Welt, wie sie ist, wird darin vernichtet; die Hölle selbst tritt an ihre Statt. Es ist eine Kraft der Zauberei, eine Poesie des bösen Princips, ein Rausch der Verführung, eine Verirrung der Gedanken, worüber man zugleich schaudern, lachen und weinen muß. Man sollte einen Augenblick glauben, die Regierung der Welt sey den Händen des Teufels anvertraut. Man schaudert, weil er unerbittlich ist; man lacht, weil er jede befriedigte Selbstliebe erniedriget und lächerlich macht; man weint, weil die menschliche Natur, aus dem Standpunkt der tiefsten Hölle genommen, ein schmerzhaftes Mitleiden einflößt.
Milton hat seinen Satan größer als den Menschen gemacht. Michel-Angelo und Dante haben dem ihrigen die scheußlichen Züge des Thiers zugleich mit der menschlichen Gesichtsbildung gegeben. Göthe's Mephistopheles ist ein ausgebildeter, gesitteter Teufel. Er läßt ihn mit Kunst den anscheinend leichten Spott handhaben, der sich so gut mit einer tiefen Bosheit verträgt; läßt ihn alles Albernheit oder Ziererei nennen, was Empfindung ist; seine Gesichtszüge sind boshaft, falsch, niedrig-gemein; er ist linkisch, aber nicht blöde; herrisch ohne Stolz, süßlich beim Frauenzimmer, weil er hier allein nöthig hat zu betrügen, um zu verführen; unter verführen, versteht er bloß, der Leidenschaft eines andern behülflich seyn, denn er selbst kann sich nicht einmal stellen, als liebe er. Dieses ist die einzige Verstellung, die ihm unmöglich wird.
Um den Charakter des Mephistopheles entwerfen zu können, muß man eine unerschöpfliche Kenntniß der Gesellschaft, der Natur und des Wunderbaren besitzen. Göthe's Faust drückt auf den Geist, wie der Alp, aber wie ein Alp, der des Geistes Kraft zugleich verdoppelt. Man findet in diesem Stücke die teuflische Offenbarung des Unglaubens, desjenigen Unglaubens, der sich auf alles anwenden läßt, was hier auf Erden für gut gilt. Vielleicht würde diese Offenbarung gefährlich seyn, wenn die Umstände, welche Mephistopheles durch seine schändlichen Absichten herbeiführt, nicht von der Art wären, daß sie gegen seine übermüthige Rede Abscheu erregen, und die tiefe Bosheit aufdecken, die
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