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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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ihren Verstand, und Empfindung und Nachsinnen erhalten in ihrem Gemüth das Bild des Edeln und Schönen.
    Die deutschen Frauen besitzen einen eigenthümlichen Reitz; sie haben eine rührende Stimme, blondes Haar, eine blendende Haut; sie sind bescheiden, wie die Engländerinnen, nur nicht so blöde; man sieht es ihnen an, daß sie seltener auf Männer gestoßen sind, die ihnen überlegen waren, und daß sie überdieß von den strengen Urtheilen des Publikums weniger zu befürchten haben. Sie suchen durch die Empfindsamkeit zu gefallen, durch die Einbildungskraft zu interessiren; die Sprache der Dichtkunst und der schönen Künste ist ihnen geläufig; sie kokettiren mit der Schwärmerei, wie man in Frankreich mit Witz und Scherz Koketterie treibt. Der hohe Grad der Rechtlichkeit, der dem Charakter der Deutschen zum Grunde liegt, macht die Liebe für die Frauen und ihre Ruhe weit weniger gefährlich; vielleicht geben sie sich diesem Gefühl um so zutraulicher hin, da die Liebe in Deutschland die Farbe des Romans trägt, und Verachtung und Untreue hier seltener als irgendwo sind.
    In Deutschland ist die Liebe eine Religion, aber eine poetische Religion, welche zu leicht duldet, was sich durch Empfindsamkeit des Herzens entschuldigen läßt. Man kann es nicht in Abrede seyn; der Heiligkeit der Ehe geschieht, in den protestantischen Ländern, durch die Leichtigkeit, womit sie getrennt werden kann, großer Abbruch. Die Frau nimmt sich einen andern Gatten, wie der Dichter eine Nebenscene in seinem Drama abändert. Die Gutmüthigkeit beider Geschlechter macht, daß die Scheidungen leicht und ohne Bitterkeit vor sich gehen; und da es unter den Deutschen mehr Einbildungskraft als wahre Leidenschaft giebt, so ereignen sich bei ihnen die seltsamsten Begebenheiten mit einer seltenen Kaltblütigkeit. Dadurch aber verlieren Sitten und Charakter ihre Festigkeit; der Geist der Paradoxie erschüttert die heiligsten Einsetzungen, und zuletzt giebt es über nichts mehr feststehende Regeln.
    Man darf mit Grund über die Lächerlichkeit einiger deutschen Frauen spotten, die ihren Geist unaufhörlich bis zur Ziererei hinaufschrauben, und durch süßlich-gesetzte Worte alles verwischen, was ihren Verstand und ihr Gemüth hervorstechend und vorragend machen könnte; sie sind nicht falsch, aber auch nicht ohne Falsch; sehen und beurtheilen nichts mit dem Lichte der Wahrheit, und die wirklichen Begebenheiten des Lebens tanzen vor ihren Augen vorüber wie phantasmagorische Bilder. Fällt es ihnen ein, sich leicht zu zeigen, so behalten sie auch dann noch den Anstrich von Empfindsamkeit, die in ihrem Vaterlande in so hohen Ehren gehalten wird. Ein deutsches Frauenzimmer sagte mit melancholischem Ernste: „Ich weiß nicht, wie es zugeht; aber die Entfernten schwinden mir gleich aus der Seele.“ Eine Französin würde dem Gedanken eine lachendere Wendung gegeben haben; aber im Grunde wäre es der nämliche gewesen.
    Diese kleinen Lächerlichkeiten sind als Ausnahmen anzusehen, und es giebt, ihnen unbeschadet, unter den deutschen Frauen viele, die mit Wahrheit empfinden, und ihre Empfindungen mit Einfachheit ausdrücken. Ihre gebildete Erziehung, ihre natürliche Reinheit der Seele, machen die Herrschaft, die sie ausüben, sanft und gleichförmig. Mit jedem Tage flößen sie uns mehr Theilnahme für alles, was groß und edel ist, ein, mehr Zutrauen in jede Gattung von Hoffnungen, und verstehen sich vorzüglich darauf, den dürren ironischen Spott abzuhalten, der einen Hauch des Todes über alle Genüsse des Herzens verbreitet. Gleichwohl trifft man nur selten bei den deutschen Frauen jene Geistesschnelligkeit an, wodurch die Unterhaltung lebhaft und der Ideengang in rasche Bewegung gesetzt wird; eine Art von Vergnügen, die sich schwerlich anderswo findet, als in den witzigsten und geistvollsten Gesellschaften von Paris. Es bedarf der feinsten Auswahl einer französischen Hauptstadt, diese seltene Unterhaltung zu gewähren; an allen andern Orten findet man gewöhnlich nur Beredsamkeit im öffentlichen, und Herzensgenuß im vertrauten Umgang. Die Unterhaltung, oder vielmehr die Gabe der Unterhaltung, als Talent betrachtet, ist nur in Frankreich einheimisch; in allen übrigen Ländern unterhält man sich aus Höflichkeit, aus Erörterungsgeist, aus Freundschaft; in Frankreich ist die Conversation eine Kunst, wozu unstreitig Einbildungskraft und Seele erforderlich sind, die aber auch, wenn man will, geheime Mittel besitzt, den Mangel und die

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