Ueber Deutschland
des menschlichen Geschlechts scheint also sich in vier verschiedene Zeiträume abtheilen zu lassen: in die Heldenzeiten, die der Welt die erste Ausbildung gaben; in die Zeiten des Patriotismus, die den Ruhm des Alterthums ausmachten; in die Ritterzeit, welche Europa's kriegerische Religionsepoche war, und in die Liebe zur Freiheit, deren Ursprung mit der Reformationsgeschichte zusammenfließt.
Deutschland, mit Ausnahme einiger an der Nachahmungssucht Frankreichs kränkelnder Höfe, ließ sich nicht von der Freigeisterei, der Immoralität, dem geckhaften Leichtsinn, der seit der Regentschaft den natürlichen Charakter der Franzosen umgewandelt hatte, anstecken. Noch hatte die Lehns-Verfassung in Deutschland die alten Grundsätze der Ritterzeit aufrecht erhalten. Noch schlug man sich im Zweikampf, seltener zwar als in Frankreich, weil die deutsche Nation nicht so lebhaft ist, als die französische, und alle Volksklassen nicht, wie in Frankreich, ihr Ehrgefühl in die Tapferkeit setzen; aber die öffentliche Meinung wachte im Allgemeinen strenger über alles, was mit der Rechtlichkeit zusammenhängt. Hatte jemand gegen die Gesetze der Moral verstoßen, so hätte er sich zehnmal des Tags schlagen können, ohne die öffentliche Achtung wieder zu gewinnen. Man hat mehr als einen Franzosen von guter Gesellschaft, auf den Vorwurf einer verdammlichen Handlung, antworten hören: „Es kann seyn, daß ich unrecht that, aber niemand wird es mir dreist ins Gesicht sagen dürfen.“ In einer Erklärung dieser Art liegt der tiefste Grad moralischer Verderbtheit; denn wohin wäre es mit der bürgerlichen Gesellschaft gekommen, wenn es blos darauf ankäme, sich zu schlagen, um dadurch das Recht zu erlangen, einander alles mögliche Leid anzuthun? um sein Wort brechen, um lügen, verläumden zu dürfen, weil, ohne Duell, niemand uns ins Gesicht sagen darf: „Du bist ein Lügner!“ mit einem Worte, wenn man die Biederkeit von der Bravour trennen, und den Muth in ein Mittel verwandeln könnte, den Strafen der Gesellschaft zu entgehen?
Seitdem der Rittergeist in Frankreich verlöscht war; seitdem es in Frankreich keinen Gottfried von Bouillon, keinen Ludwig den Heiligen, keinen Bayard mehr gab, die der Schutz des Schwachen waren, und sich durch ihr Wort, wie durch unauflösliche Ketten gebunden glaubten, darf ich, gegen die allgemein eingeführte Meinung, behaupten, daß von allen Ländern der Erde Frankreich vielleicht dasjenige gewesen ist, wo die Frauen, von der Seite des Herzens, am wenigsten glücklich waren. Man nannte Frankreich das Paradies der Frauen, weil sie in Frankreich eine große Freiheit genossen; aber eben diese Freiheit war eine Folge der Leichtigkeit, mit welcher man sich von ihnen losmachte. Der Türke, der seine Weiber einschließt, beweiset ihnen wenigstens dadurch auf seine Weise, daß sie seinem Glücke unentbehrlich sind; der Liebesabenteurer, wie sie uns das vorige Jahrhundert in Menge aufstellt, sieht die Weiber als Opfer seiner Eitelkeit an; und diese Eitelkeit besteht nicht allein darin, sie zu verführen, sondern sie zu verlassen. Er setzt seine ganze Ehre darin, mit leicht hingeworfenen und keiner beleidigenden Auslegung fähigen Worten sagen zu können: Die und die Frau habe ihn geliebt, itzt mache er sich nichts mehr aus ihr. Zum Baron von Bezenval sprach einst einer seiner Freunde: „Meine Eigenliebe ruft mir zu: Quäle sie zu Tode!“ Und diesen Freund beweinte Bezenval mit vielen Thränen, als er zu jung starb, um den schönen Vorsatz ausführen zu können. „Mein Engel“, läßt La Clos, in einem Roman, der durch die ausgesuchteste Immoralität, die er zur Schau trägt, Schaudern erregt, einen seiner Unschuldwürger sagen, „mein Engel, man wird alles in der Welt müde.“ Zu eben der Zeit, als behauptet wurde, die Liebe habe in Frankreich ihren Thron, möchte ich im Gegentheil sagen: die Galanterie habe das schöne Geschlecht in den Bann gethan; und sobald die Sanduhr ihrer Herrschaft abgelaufen, habe man für die Frauen weder Großmuth, noch Dankbarkeit, noch Mitleid gehabt. Man ahmte die Töne der Liebe nach, um sie in die Falle zu locken, wie das Crocodill die Kinderstimme nachmacht, um die Mütter herbeizurufen.
Zeigte sich Ludwig XlV., dessen Ritterweise und Artigkeit gegen das schöne Geschlecht bis in die Wolken erhoben wird, nicht hart und grausam gegen die, welche ihn über alles geliebt hatte, gegen die Herzogin von la Valière? Was man davon in den Memoires de Madame lieset, ist
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