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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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deutschen Reichs so überaus nachtheilig, findet sich auch in der Religion wieder; eine große Anzahl verschiedener Secten theilt sich in Deutschland, und die katholische Religion selbst, die durch ihre innere Beschaffenheit einförmige strenge Zucht hält, wird von den Deutschen, nach eines jeden Weise und Gutdünken, erklärt. Das politische und gesellschaftliche Gut der Völker, eine gleiche Regierung, ein gleicher Gottesdienst, gleiche Gesetze, gleiches Interesse, eine classische Literatur, eine vorherrschende Meinung; nichts von allem diesem findet sich bei den Deutschen. Dadurch wird freilich jeder einzelne Staat unabhängiger, jede Wissenschaft besser angebaut; aber die Nation im Ganzen zerfällt in solche Unterabtheilungen, daß man nicht weiß, welchem Theile des Reichs man den Namen Nation beilegen soll.
    Die Freiheitsliebe ist bei den Deutschen nicht entwickelt; sie haben weder durch Genuß, noch durch Entbehrung, den Werth kennen gelernt, den man in diesem höchsten Gute finden kann. Es giebt mehrere Beispiele von Föderativ-Staaten, die dem Gemeingeist eben so viel Kraft als Einheit in der Regierung zutheilen; aber jene Staaten sind einander gleich, jene Bürger sind frei. Der deutsche Bund bestand aus Starken und Schwachen, aus Bürgern und Knechten, aus Nebenbuhlern und sogar aus Feinden; aus alten Elementen, durch die Umstände zusammentreffend, und von den Menschen in Würde gehalten.
    Die deutsche Nation ist ausharrend und gerecht; ihr Gefühl für Billigkeit und Rechtlichkeit verhindert, daß eine, sogar fehlerhafte, Einrichtung zum Bösen führen könne. Als Ludwig der Baier in den Krieg zog, überließ er die Verwaltung seiner Staaten Friedrich dem Schönen, seinem Gefangenen; und dieses Vertrauen, welches damals für Niemand befremdend war, betrog ihn nicht. Mit solchen Tugenden hatte man von den Mängeln der Schwachheit, oder von der Verwickelung der Gesetze nichts zu befürchten; die Rechtschaffenheit der Menschen ersetzte alles.
    Die Unabhängigkeit selbst, die man beinahe in jeder Hinsicht in Deutschland genoß, machte die Deutschen gleichgültig gegen die Freiheit: die Unabhängigkeit ist ein Gut, die Freiheit eine Bürgschaft; und eben weil niemand in Deutschland weder in seinen Rechten, noch in seinen Genüssen gekränkt wurde, fühlte man nicht das Bedürfniß einer Ordnung der Dinge, durch die dieses Gut behauptet würde. Die Reichsgerichtshöfe verschaften eine sichere, obschon langsame Gerechtigkeit gegen jede Handlung der Willkühr; die Mäßigung der Fürsten und die Weisheit der Völker gaben fast niemals Anlaß zu Vorstellungen; man glaubte, keines constitutionellen Bollwerkes zu bedürfen, weil man keinen Eingriff vor sich sah.
    Es muß Wunder nehmen, daß das Feudalrecht beinahe ohne alle Abänderung unter so aufgeklärten Menschen fortgedauert habe; da aber in der Ausübung dieser an sich mangelhaften Gesetze nie Ungerechtigkeiten vorfielen, so tröstete die Gleichheit in der Anwendung über die Ungleichheit in dem Grundsatz. Die alten Urkunden, die alten Privilegien der Städte, jene große Familiengeschichte, die das Glück und den Ruhm der kleinen Staaten ausmacht, war den Deutschen über alles theuer; sie vernachlässigten darüber die große Nationalmacht, die es vor allen Dingen wichtig war, mitten unter den europäischen Colossen zu begründen.
    Dem Deutschen fehlt es, mit wenigen Ausnahmen, an Fähigkeit zu allem, wozu Gewandtheit und Geschicklichkeit erfordert wird. Alles beunruhigt ihn, macht ihn verlegen; er bedarf eben so sehr der Methode im Handeln, als der Unabhängigkeit im Denken. Der Franzose hingegen betrachtet die Handlungen mit der Freiheit der Kunst, und die Ideen mit der Knechtschaft der Gewohnheit. Die Deutschen, die sich dem Joche der Regeln in der Literatur nicht unterwerfen können, möchten, daß im Leben ihnen alles vorgezeichnet würde. Sie verstehen sich nicht darauf, mit den Menschen zu verhandeln, und je weniger man ihnen Gelegenheit giebt, sich bei sich selbst Raths zu erholen, desto mehr ist man ihnen willkommen.
    Politische Einsetzungen können allein den Charakter einer Nation begründen. Nun stand die Natur der Regierung in Deutschland mit der philosophischen Aufklärung der Deutschen beinahe im Gegensatz; daher kommt es, daß sie die größte Kühnheit im Denken mit dem folgsamsten Charakter verbinden. Der Vorzug, den der Soldatenstand hat, und die Verschiedenheit der Stände überhaupt haben sie in allen Verhältnissen des geselligen

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