Ueber Deutschland
Abwesenheit dieser beiden Bestandtheile zu ersetzen.
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Viertes Capitel. Vom Einfluß des Rittergeistes auf Liebe und Ehre.
Das Ritterthum ist für die Neueren, was die Heldenzeit für die Alten war; alle edle Erinnerungen der europäischen Nationen knüpfen sich an die Ritterzeit an. In allen Hauptepochen der Geschichte war das allgemeine Princip des menschlichen Thuns immer Enthusiasmus irgend einer Gattung. Diejenigen, die man in den entferntesten Weltperioden Helden nannte, hatten die Ausbildung des Menschen zum Zweck; jene dunkele Sagen, die sie uns als Bändiger von Ungeheuern schildern, spielen auf die ersten Gefahren an, welche die werdende Gesellschaft bedrohten, und vor welchen die Stützen ihrer lockeren Verbindung sie beschützen sollten. Auf diesen ersten Enthusiasmus der Menschenausbildung folgte der des Vaterlandes; er schuf und gab, was bei Griechen und Römern Großes und Schönes hervorgebracht worden ist. Diese Vaterlandsflamme erlosch, als es kein Vaterland mehr gab; und einige Jahrhunderte später entstand der Rittergeist. Der Rittergeist bestand in der Vertheidigung des Schwachen, in der Biederkeit des Kampfs, in der Verachtung der Ränke und Kunstgriffe, in dem christlichen Liebessinn, welcher Menschlichkeit und Menschenliebe selbst in den Krieg bringt, mit einem Worte in allen Gesinnungen und Gefühlen, die den heiligen Dienst der Ehre an die Stelle des wilden Geistes der Waffen setzen. Das Ritterthum, im Norden geboren, hat sich im mittäglichen Frankreich durch den doppelten Zauber der Dichtkunst und Liebe verschönert. Von jeher zollten die Germanen den Frauen Achtung und Ehre; die Franzosen suchten ihnen zu gefallen. Die Deutschen haben ihre Minnesänger ; nichts aber läßt sich mit unsern Trouvères und Troubadours vergleichen; und, vielleicht sind sie die Quelle, aus welcher wir unsere wahrhafte alte Nationalliteratur schöpfen sollten. Obschon der Geist der Nordbewohner mit dem Christenthum weit mehr Berührungspunkte hatte, als das Heidenthum der alten Gallier, so giebt es doch kein Land, wo die Christen edlere Ritter, und die Ritter bessere Christen gewesen wären, als Frankreich.
Die Kreuzzüge wurden für den Adel aller Länder ein Vereinigungspunkt, und erhoben den Rittergeist zu einer Art von europäischem Patriotismus, der alle Seelen mit demselben Gefühl erfüllte. Das Feudalsystem, diese ernste, traurige politische Schöpfung, welche aber einigermaßen den Rittergeist begründete, indem sie ihn zum Landesgesetz erhob, hat sich bis auf den heutigen Tag in Deutschland erhalten. In Frankreich machte Cardinal Richelieu demselben ein Ende, und seit dieser Epoche bis zur Revolution, hat es den Franzosen an einer Quelle von Enthusiasmus gänzlich gemangelt. Man wird mir einwenden, die Liebe zu ihren Königen sey ihr Enthusiasmus gewesen: zugegeben aber, daß dieses Feuer eine ganze Nation habe entflammen können, so war doch ein solches Gefühl so ganz mit der Person des Souverains verbunden, daß es überaus schwer gehalten hätte, unter der Regentschaft oder unter Ludwig XV. einen Funken davon aufgefacht zu haben, der die Franzosen zu irgend etwas Großem vermocht hätte. Der Rittergeist, der noch hier und da zu den Zeiten Ludwigs XIV. flammte, erlosch nach dessen Tode, und wurde, wie ihn ein feiner geistreicher Geschichtschreiber [La Cretelle.] nennt, durch den ganz entgegenstehenden Geist der Fatuität ersetzt. Anstatt die Frauen in Schutz zu nehmen, sucht der eingebildete, eigenliebige Geck sie zu Grunde zu richten; statt Ränke und Kunstgriffe zu verschmähen, bedient, er sich ihrer gegen ein schwächeres Geschlecht, rühmt sich stolz seiner Erfolge, und entweiht den Tempel der Liebe, anstatt die Gottheit anzubeten.
Die Tapferkeit selbst, die ehedem der Biederkeit zum Bürgen diente, wurde zum glänzenden Mittel, sich davon loszusagen; denn es kam nun nicht mehr darauf an, wahrhaft zu seyn, sondern den im Zweikampf zu erlegen, der es wagte, uns der Lüge zu zeihen. Die eingeführte Herrschaft der Geselligkeit in der großen Welt unterdrückte den größten Theil der ritterlichen Tugenden. Frankreich befand sich damals ohne allen Enthusiasmus; und da es einer Nation nicht daran fehlen darf, wenn sie sich nicht verschlechtern und auflösen soll, so war es unstreitig dieses natürliche Bedürfniß in Frankreich, welches, schon gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, in allen Gemüthern die Liebe zur Freiheit erweckte.
Der philosophische Gang
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