Ueber Deutschland
Verbrechen, eine Art poetischer Einbildungskraft zu bewahren, die seinen Handlungen, und den Vorwürfen seines Gewissens einen originellen bedeutenden Anstrich giebt. Im Eingang des Stücks tritt der heilige Bonifaz auf; er erzählt den Inhalt, und hebt mit den Worten an:
«Ich bin der wackere Bonifazius etc.»
Der Verfasser hat diesen Eingang nicht absichtslos gewählt; er zeigt zu viel Tiefe und Feinheit in seinen übrigen Schriften, und vor allen in seiner Genoveva, um diesen Vorwurf zu verdienen; er hat diese Form gewählt, so viel ist klar; er hat als ein Zeitgenosse seiner Heiligen, einfältig und naiv seyn wollen. Nur, wenn man zu sehr bedacht wäre, die alte Zeit wieder herbeizuschaffen, würde dieses zu einem Marktschreierton von Einfalt führen, der ins Lächerliche fiele, und Lachen erregen müßte, so ernsthaft und gerührt man auch sonst wäre. Allerdings muß man sich in das Jahrhundert versetzen, das man zu schildern hat, nur darf man das seinige darüber nicht ganz vergessen. Die Perspective der Gemälde, sie mögen darstellen, was sie wollen, muß immer von dem Standpunkte der Zuschauer ausgehen.
Unter denen, welche der Nachahmung der Alten treu geblieben, nimmt Collin die erste Stelle ein. Wien ist stolz auf diesen Dichter, Teutschland schätzt ihn allgemein. Er ist seit langer Zeit so zu sagen, der einzige in Oestreich. Seine Tragödie Regulus, würde in Frankreich mit Beifall aufgenommen werden. In Collins Schreib- und Dichtart liegt ein Gemisch von Erhabenheit und Empfindung, von Römischer Strenge und religiöser Sanftmuth; in ihm schmiltzt der Geschmack der Alten mit dem der Neueren zusammen. In seinem Trauerspiel Polyxena ist der Auftritt, wo Calchas den Neoptolemus auffordert, Priams Tochter auf Achilles Grabmal zu opfern, einer der schönsten, den wir haben. Der Aufruf der stygischen Götter, die zur Versöhnung der Todten ein Schlachtopfer verlangen, wird mit einer solchen Kraft der Finsterniß, einem solchen Schauder der Unterwelt vorgetragen, daß sich unter den Füßen Abgründe zu eröffnen scheinen. Immer wird man von der Bewunderung zu den Vorgängen des Alterthums hingerissen; bis jetzt ist alles Bestreben der Neuern, aus ihren eignen Mitteln Stoffe zu wählen, die denen der Griechen gleich kommen, gescheitert, doch soll man diesem edeln Ruhm nachstreben; denn nicht allein die Nachahmung lässt sich erschöpfen, sondern der Zeitgeist scheint immer in unserer Behandlungsart des Alterthums, und seiner Thatsachen durch. Collin selbst fällt in diesen Fehler. Er führt den ersten Akt seiner Polyxena mit alt-edler Einfalt durch; am Ende verwickelt er den Gang durch eine Menge von Zwischenfällen. Die Franzosen haben das Jahrhundert Ludwigs XIV. und die damalige Galanterie in alttragische Stoffe eingemischt; die Italiener behandeln in ihren Tragödien das Alte mit einer Art von hochtrabendem Bombast; die Engländer verläugnen sich nie, und haben daher auf ihre Bühne nur römische Geschichten gebracht, weil sie mehr Berührungspunkte mit den Römern haben. Die Deutschen überziehen ihre den Griechischen nachgebildete Trauerspiele mit dem Firniß der metaphysischen Philosophie, oder bemalen sie mit bunten Romanbegebenheiten. Nie wird es einem Dichter unsrer Zeit gelingen, alte Poesie hervorzubringen. Daher würden wir besser thun, uns aus unserer Religion und unseren Sitten eine moderne Poesie zu schaffen, die, wie die der Alten, wirkliche Naturschönheiten unsres Bodens enthielte.
Oehlenschläger, ein Däne, hat selbst seine Schauspiele ins Deutsche übersetzt. Die Analogie zwischen beiden Sprachen gestattet in beiden gleich gut zu schreiben, und der Däne Baggesen hat es bewiesen, daß man in einem fremden Idiom ein großes Dichtertalent ausdrücken kann. In Oehlenschlägers Tragödien findet man eine schöne dramatische Einbildungskraft. Sie sollen großen Beifall auf der Copenhagner Bühne finden; beim Lesen gefallen sie in doppelter Hinsicht; erstlich, weil der Verfasser mit der französischen Regelmäßigkeit die Mannichfaltigkeit und Bewegung, die bei den Deutschen so viel gelten, zu vereinen gewußt; zweitens, weil er die Geschichte und die Mythen der alten Scandinavier mit großer und dabei poetischer Wahrheit und Treue aufgestellt hat.
Der Norden, der an die äußersten Gränzen der bewohnten Erde stößt, ist uns kaum bekannt; die langen Nächte der borealischen Gegenden, wo der Wiederschein des Schnees allein statt des Tageslichts dient; die Finsterniß, die den
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