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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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meint, daß diese Vielseitigkeit sie hindere, in einer Art das Außerordentliche zu leisten, aber die ersten Genien der Bühne, Garrik und Talma haben beides vereinigt. Die Beweglichkeit der Organe, die mit gleichem Erfolg das Verschiedenartige darzustellen vermag, scheint mir der Stempel des natürlichen Talents zu seyn, und in der Dichtung, wie in der Wahrheit, entspringen vielleicht der Ernst und der Scherz aus demselben Quell. Beide übrigens wechseln und vermählen sich so vielfach in den teutschen Tragödien, daß nothwendig der Künstler zu beiden Talent haben muß, und der erste Schauspieler Teutschlands, Iffland, bietet davon mit verdientem Beifall ein Beispiel dar. Ich habe in Teutschland keine Schauspieler gesehen, die im edlen komischen, im französischen Sinne, gut gewesen wären. Was unseren Marquis und ähnlichen Rollen Anmuth verleiht, ist, was die Italiener la disinvoltura nennen, und dieser zwanglosen Leichtigkeit widersteht eben die Gewohnheit der Teutschen, alles mit Ernst und Gewicht zu behandeln. Es können aber die Originalität, die Laune und die Kunst, Charaktere zu schildern, nicht weiter gebracht werden, als es Iffland in seinen Darstellungen thut. Ich glaube nicht, daß wir je auf der französischen Bühne einen so überraschenden, vielgestaltigen Künstler gesehen hätten, der mit gleichem Ausdruck natürliche Fehler und Lächerlichkeiten zu schildern gewagt hätte. Die Comödie hat feststehende Muster von geizigen Vätern, liederlichen Söhnen, verschmitzten Bedienten, hintergangenen Vormündern. Ifflands Rollen, wie er sie faßt, können sich keinem dieser Muster anfügen, man muß sie alle bei Namen nennen, denn es sind wirkliche Individuen, und in jeder noch so verschiedenen Eigenthümlichkeit scheint der Künstler, ganz einheimisch geworden, sich frei wie in der eigenen zu bewegen.
    Auch in der Tragödie finde ich sein Spiel von großer Wirkung. Seine Ruhe und Einfachheit im Vortrag der schönen Rolle Wallensteins prägen sich tief dem Gedächtniß ein. Stufenweise steigert sich mehr und mehr der Eindruck, man zweifelt Anfangs, daß seine anscheinende Kälte je in die Seele werde greifen können; aber im Fortgange wächst die Bewegung mit immer stärkerem Schritte, und gewaltig erschüttert jedes Wort, da im Ganzen eine edle Ruhe herrscht, die jeden Ton hervor hebt, ohne die Hauptfarbe des Charakters mitten unter den Leidenschaften zu zerstören.
    Iffland, Meister in der Theorie, wie in der Ausübung, hat über dramatische Kunst mehrere ausgezeichnet geistreiche Schriften herausgegeben. Er fängt mit einer Skizze der verschiedenen Epochen des teutschen Theaters an; die frostige und steife Nachahmung der französischen Bühne, die weinerliche Empfindsamkeit der Schauspiele, deren prosaische Natürlichkeit bis auf die Kunst Verse zu sprechen in Vergessenheit gebracht hatte; die Rückkehr endlich zu der Poesie und zu der Phantasie, die jetzt den deutschen Geschmack allgemein bezeichnen. Von jedem Ton, von jeder Bewegung, weiß Iffland als Denker und Künstler Rechenschaft abzulegen.
    Eine Rolle aus einem seiner Stücke giebt ihm zu den scharfsinnigsten Bemerkungen über komische Darstellung Anlaß. Es ist die Rolle eines bejahrten Mannes, der mit einemmal seine bisherige Denkungsart und Gewohnheiten verläßt, um die Meinungen und das Costum der neuen Generation anzunehmen. Dieser Mann hat kein böses Gemüth, aber die Eitelkeit verleitet ihn so weit, als Verderbtheit es vermocht hätte. Er hat seine Tochter eine vernünftige, aber glanzlose Heirath schließen lassen. Nun giebt er ihr den Rath, sich scheiden zu lassen. Ein Spatzierstöckchen in der Hand, mit zierlichem Lächeln sich abwechselnd auf einem Fuße wiegend, macht er seinem Kinde den Vorschlag, die heiligsten Bande zu zerreissen. Was vom Alter durch diese erzwungene Zierlichkeit durchscheinet, was dieser angenommene Leichtsinn unbehülfliches hat, weiß Iffland mit bewunderungswürdigem Scharfsinn heraus zu heben.
    Bei Gelegenheit der Rolle Franz Moors in den Räubern von Schiller untersucht Iffland, wie Bösewichter darzustellen sind. Er will, daß der Künstler sich bestrebt, die einwirkenden Ursachen darzuthun, die den Charakter zu einem solchen gebildet und die Umstände die ihn verderbt haben. Er soll gleichsam der gerichtliche Vertheidiger desjenigen seyn, den er darstellt und es giebt in der That keine Wahrheit, selbst in der vollendeten Verderbtheit, als durch jene Abstufungen, die uns erinnern, daß der Mensch nur

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