Ueber Deutschland
Zeit; und Kant beweiset, daß alle unsere Perceptionen diesen beiden Formen unterworfen sind. Er schließt daraus, daß sie in uns selbst, nicht in den Gegenständen enthalten sind, und daß in dieser Hinsicht unser Verstand der äußerlichen Natur Gesetze vorschreibt, anstatt sie von derselben zu empfangen. Die Geometrie, welche den Raum misset, und die Arithmetik, welche die Zeit theilet, sind Wissenschaften von vollendeter Evidenz, weil sie auf den nothwendigen Notionen unseres Geistes beruhen.
Die durch Erfahrung erworbenen Wahrheiten führen diese absolute Gewißheit nicht mit sich. Wenn man sagt: die Sonne geht alle Tage auf, alle Menschen sind sterblich u.s.w.: so könnte die Einbildungskraft eine Ausnahme in Hinsicht dieser Wahrheiten gestatten, welche die Erfahrung allein außer Zweifel stellt. Allein die Einbildungskraft selbst kann nichts voraussetzen, was außer dem Raum und der Zeit liegt; und man kann folglich diese Formen unseres Gedankens, die wir den Dingen aufdrücken, durchaus nicht als das Resultat der Gewohnheit, d. h. der Wiederholung derselben Phänomene betrachten. Die Sensationen können zweifelhaft seyn, aber das Prisma, durch welches wir sie erhalten, ist unveränderlich.
Dieser ursprünglichen Anschauung des Raumes und der Zeit muß man die Principe des Raisonnements, ohne welche wir nichts begreifen können, und die daher die Gesetze unserer Intelligenz sind, hinzufügen oder vielmehr zur Grundlage geben: den Zusammenhang zwischen Ursach und Wirkung , die Einheit, die Vielheit, die Ganzheit, die Möglichkeit, die Wirklichkeit, die Nothwendigteit u.s.w. [Kant giebt den verschiedenen nothwendigen Notionen des Verstandes, deren Gemählde er entwirft, die Benennung der Kathegorie .]. Auch diese betrachtet Kant als nothwendige Notionen, und zum Range der Wissenschaften erhebt er nur die, welche unmittelbar aus diese Notionen gegründet sind, weil die Gewißheit nur in ihnen vorhanden seyn kann. Die Formen des Raisonnements geben erst dann ein Resultat, wenn man sie auf das Urtheil äußerer Gegenstände anwendet, und in dieser Anwendung sind sie dem Irrthum unterworfen. Allein sie sind deshalb nicht minder nothwendig in sich selbst, d. h. wir können uns in keinem unserer Gedanken von ihnen losmachen; es ist uns unmöglich, uns irgend etwas vorzustellen außerhalb der Beziehungen von Ursache und Wirkung, von Möglichkeit, von Quantität u.s.w., und diese Notionen inhäriren unseren Begriffen eben so sehr, als Raum und Zeit. Nur vermittels der unveränderlichen Gesetze unserer Art zu raisonniren, nehmen wir etwas wahr. Folglich sind auch diese Gesetze in uns selbst, nicht außer uns.
In der deutschen Philosophie nennt man subjective Ideen diejenigen, welche aus der Natur unserer Intelligenz und der Vermögen derselben entstehen; objective hingegen alle diejenigen, welche durch äußere Gegenstände angeregt sind. Welche Benennung man auch in dieser Hinsicht annehmen möge, mir kommt es vor, daß die Erforschung unseres Geistes mit dem Hauptgedanken Kants übereinstimmt, d. h. mit dem Unterschied, welchen er feststellt zwischen den Formen unseres Verstandes und den Gegenständen, welche wir nach diesen Formen erkennen; und es sey nun, daß er sich festhalte an abstrakte Conceptionen, oder daß er, in der Religion und Moral, an die Gefühle appellire, welche er gleichfalls als unabhängig von der Erfahrung betrachtet: so ist nichts so lichtvoll, als diese Gränzlinie, welche er zwischen dem, was aus den Sensationen, und dem, was aus der freien Thätigkeit unserer Seele herrührt, ziehet.
Indem einige Ausdrücke der Kantischen Lehre falsch gedeutet worden sind, hat man behauptet, er glaube an Erkenntnisse a priori , d. h. an solche, welche unserem Geist eingegraben sind, ehe wir sie erlernt haben. Andere deutsche Philosophen, welche sich dem platonischen Systeme mehr nähern, haben in der That gedacht: der Typus der Welt sey in dem menschlichen Geiste, und der Mensch könne das Universum nur in sofern in sich aufnehmen, als er das angeborne Bild desselben in sich trage. Allein von dieser Lehre ist im Kant gar nicht die Rede. Er führt die intellektuellen Wissenschaften an drei zurück, nehmlich auf die Logik, die Metaphysik und die Mathematik. Die Logik lehrt nichts durch sich selbst; da sie aber auf den Gesetzen unseres Verstandes beruht, so ist sie ihren Principen, wenn diese abstrakt betrachtet werden, unwidersprechlich; nur in ihrer Anwendung aus Ideen und Dinge kann diese Wissenschaft zur
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