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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Wahrheit führen; ihre Principe sind angeboren, ihre Anwendung ist Sache der Erfahrung. Nur die mathematischen Wissenschaften scheinen unmittelbar von der Notion des Raumes und der Zeit, d. h. von den Gesetzen unseres Verstandes abzuhängen, und folglich vor aller Erfahrung zu stehen; und Kant beweiset, daß die Mathematik nicht eine bloße Analysis, sondern eine synthetische, positive, schöpferische und in sich selbst zuverlässige Wissenschaft ist, so daß man, um sich ihrer Wahrheit zu versichern, gar nicht nöthig hat, auf die Erfahrung zurückzugehen. In Kants Werke kann man die Beweise lesen, auf welche er diese Ansicht stützt; aber wahr ist wenigstens, daß Niemand mehr als Er ein Feind der Philosophie ist, die man die Philosophie der Träumer nennt, und daß er bei weitem mehr zu einer trockenen und didaktischen Art zu denken hinneigt, obgleich seine Lehre den Endzweck hat, das durch den Materialismus herabgewürdigte Menschengeschlecht empor zu heben.
    Weit davon entfernt, die Erfahrung zu verwerfen, betrachtet Kant das ganze Lebensgeschäft nur als die Wirkung unserer angebornen Vermögen auf die uns von außen her kommenden Erkenntnisse. Er glaubt, die Erfahrung würde ohne die Gesetze des Verstandes nur ein Chaos seyn, daß aber diese Gesetze nur die, durch die Erfahrung gegebenen Elemente zum Gegenstande haben. Hieraus folgt, daß die Metaphysik, jenseits ihrer Gränzen, uns nichts lehren kann, und daß man dem Gefühl das Vorherwissen und die Ueberzeugung alles dessen, was zur sichtbaren Welt gehört, zuschreiben muß.
    Will man sich bloß des Raisonnements bedienen, um die religiösen Wahrheiten festzustellen, so ist dies ein Werkzeug, das sich nach allen Seiten biegt, und das eben sowohl zum Angriff als zur Vertheidigung gebraucht werden kann, weil sich in dieser Hinsicht in der Erfahrung kein Stützpunkt finden läßt. Kant stellt die Argumente für und wider die Freiheit des Menschen, die Unsterblichkeit der Seele, die vergängliche und ewige Dauer der Welt in zwei Parallellinien, und appellirt alsdann an das Gefühl, um den Ausschlag zugeben; denn die metaphysischen Beweise scheinen ihm auf beiden Seiten von gleicher Starke. [ In der Kritik der reinen Vernunft werden diese entgegengesetzten Argumente über die großen metaphysischen Fragen Antinomieen genannt.] Vielleicht hat er Unrecht daran gethan, den Skepticismus so weit zu treiben; allein am sichersten vernichtet man den Skepticismus, indem man aus gewissen Fragen die abstrakten Erörtungen entfernt, die ihn ins Leben gerufen haben.
    Es würde ungerecht seyn, die aufrichtige Frömmigkeit Kants in Zweifel zu ziehen, weil er behauptet hat, es sey in den Raisonnements für und wider die großen Fragen der übersinnlichen Metaphysik vollkommene Gleichheit. Mir kommt es sogar vor, ^ als liege in diesem Geständniß Herzensreinheit. Nur eine sehr geringe Zahl von Geistern ist im Stande, dergleichen Raisonnements zu fassen, und die, welche diese Fähigkeit haben, sind so geneigt, einander zu bekämpfen, daß man dem religiösen Glauben einen großen Dienst erweiset, wenn man die Metaphysik aus allen den Fragen verbannt, die sich auf das Daseyn Gottes, auf den freien Willen, auf den Ursprung des Guten und Bösen beziehen.
    Einige achtungswerthe Männer haben zwar gesagt: man müsse keine Waffe verschmähen, und auch die metaphysischen Argumente müssen benutzt werden, um Diejenigen zu überführen, welche sich ihrer Herrschaft unterworfen; allein diese Argumente führen zur Diskussion, und diese zum Zweifel, der Gegenstand sey, welcher er wolle.
    Die schönen Epochen des Menschengeschlechts sind immer die gewesen, wo Wahrheiten einer gewissen Ordnung weder durch Schriften noch durch Reden bestritten wurden. Die Leidenschaften konnten zu Frevelthaten hinreissen; aber Niemand zog die Religion in Zweifel, der er nicht gehorchte. Sophismen aller Art (Misbräuche einer gewissen Philosophie) haben in verschiedenen Ländern und Jahrhunderten jene edle Festigkeit des Glaubens, die Quelle heroischer Aufopferung zerstört. Ist es also nicht für einen Philosophen eine sehr schöne Idee, der Wissenschaft, zu welcher er sich bekennt, den Einschritt in das Heiligthum zu verbieten, und die ganze Stärke der Abstraktion auf den Beweis zu verwenden, daß es Regionen giebt, aus welchen sie verbannt werden muß?
    Despoten und Fanatiker haben versucht, der menschlichen Vernunft die Erforschung gewisser Gegenstände zu untersagen, und immer hat sich die Vernunft von

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