Ueber Deutschland
seiner Kritik der Urtheilskraft ist noch merkwürdiger, als der erste. Er setzt nehmlich das Erhabene in die moralische Freiheit, im Kampfe mit dem Geschick oder mit der Natur. Macht ohne Gränze erschreckt uns; Größe drückt uns zu Boden. Gleichwol entrinnen wir dem Gefühl unserer physischen Schwäche durch die Stärke des Willens. Die Gewalt des Schicksals und die Unermeßlichkeit der Natur stehen in einem unendlichen Gegensatze zu der jammervollen Abhängigkeit der Kreatur auf Erden. Allein ein Funke himmlischen Feuers in unserem Busen triumphirt über das Universum, weil dieser Funken ausreicht zum Widerstand gegen Alles, was die Kräfte der Welt von uns fordern können.
Die erste Wirkung des Erhabenen ist, den Menschen niederzudrücken; die zweite, ihn zu erheben. Beym Anblick des Sturms, der die Wellen des Meeres in Aufruhr setzt und Himmel und Erde zu bedrohen scheint, bemächtigt sich unserer zuerst das Entsetzen, selbst wenn keine persönliche Gefahr uns erreichen kann: allein, wenn die Wolken sich thürmen, wenn die ganze Wuth der Natur losbricht, so fühlt der Mensch eine innere Stärke, die ihn von allen Befürchtungen befreien kann, entweder durch den Willen, oder durch die Ergebung, entweder durch die Ausübung oder durch die Entsagung der moralischen Freiheit; und dieses Bewußtseyn seiner selbst belebt ihn von neuem und flößt ihm Muth ein.
Erzählt man uns eine großmüthige Handlung, sagt man uns, daß Menschen unerhörte Martern gelitten haben, um ihrer Meinung treu zu bleiben, mahlt man uns dies recht vollständig aus: so verwirrt das Bild der Peinigungen, welche sie ausgestanden, Anfangs unsere Gedanken, aber allmählig gewinnen wir unsere Kräfte wieder, und die Sympathie, welche wir für Seelengröße empfinden, läßt uns hoffen, daß auch wir über die elenden Sensationen des Lebens triumphiren können, um wahr und edel und stolz zu bleiben bis ans Ende unserer Tage.
Uebrigens vermag uns niemand zu definiren, was, so zu sagen, den Gipfel unseres Daseyns bildet. „Wir sind," sagt der h. Augustin, „in Hinsicht auf uns selbst, viel zu hoch gestellt, um uns zu begreifen." Der würde sehr arm an Einbildungskraft seyn, der da glauben könnte, er sey im Stande, die Betrachtung der einfachsten Blume zu erschöpfen. Wie sollte man also dahin gelangen. Alles zu kennen, was die Idee des Erhabenen in sich schließt?
Gewiß schmeichle ich mir nicht, auf wenigen Seiten Rechenschaft abgelegt zu haben von einem System, welches, seit zwanzig Jahren, alle denkenden Köpfe Deutschlands beschäftigt hat; aber ich glaube darüber genug gesagt zu haben, um den allgemeinen Geist der Kantischen Philosophie anzudeuten, und um in den folgenden Capiteln den Einfluß zu erklären, den sie auf die Literatur, die Wissenschaften und die Moral ausübt.
Um die Erfahrungs-Philosophie mit der idealistischen gehörig zu versöhnen, hat Kant nicht die eine der anderen unterworfen; allein er hat beiden einen neuen Grad von Stärke zu geben gewußt. Deutschland war von der dürftigen Lehre bedroht, welche in jedem Enthusiasmus eine Verirrung sah, und die beruhigenden Gefühle des Lebens mit den Vorurtheilen in eine Klasse warf. Für Menschen, die zugleich so philosophisch und so poetisch, so empfänglich für Studium und Begeisterung waren, war es eine große Genugthuung, die schönsten Affectionen des Gemüths durch die Strenge der abstraktesten Raisonnements vertheidigt zu sehen. Die Kraft des Geistes kann niemals lange negativ seyn, d. h. nicht in dem bestehen, was man nicht glaubt, nicht begreift, und eben deswegen herabwürdigt. Es bedarf einer Philosophie des Glaubens, des Enthusiasmus, einer Philosophie, welche durch die Vernunft bekräftigt, was das Gefühl uns offenbart.
Kants Gegner haben den Philosophen von Königsberg beschuldigt, er habe die Argumente der alten Idealisten nur wiederholt; sie haben behauptet, seine Lehre sey nur das alte System in einem neuen Gewande. Dieser Vorwurf ist ungegründet. Nicht bloß neue Ideen, sondern selbst ein eigenthümlicher Character ist in der Lehre Kants enthalten.
Obgleich im Wesentlichen bestimmt, die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts zu widerlegen, hat sie doch das Eine und das Andere mit derselben gemein; denn die Natur des Menschen bringt es mit sich, sich dem Geiste seiner Zeit anzuschmiegen, selbst dann, wenn er auf Bekämpfung desselben ausgeht. Platons Philosophie ist poetischer, als die Kantische, und Mallebranche's Philosophie ist religiöser; allein
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