Ueber Deutschland
erweitern, war das Triebrad seines Daseyns. „Wenn der Allmächtige," sagte er, „in der einen Hand die Wahrheit und in der andern die Erforschung derselben hielte: so würde ich ihn vorzugsweise um die letztere bitten."
In der Religion war Lessing nicht orthodox. Als Gefühl war das Christenthum ihm nicht nothwendig; gleichwol wußte er es philosophisch zu bewundern. Er begriff seine Verhältniße zu dem menschlichen Herzen, und alle Arten von Ansichten betrachtete er immer aus einem universalen Gesichtspunkte. In seinen Schriften findet man nichts Ausschließendes, nichts Unduldsames. Stellt man sich in den Mittelpunkt der Ideen: so hat man immer Redlichkeit, Tiefe und Umfang; denn das Ungerechte, Eitele und Bekränzte rührt immer von dem Bedürfnis her, alles auf einige partielle Ansichten zu beziehen, die man sich angeeignet hat, und aus denen man einen Gegenstand der Selbstliebe macht.
Mit einem schneidenden und positiven Styl drückt Lessing Meinungen voll Wärme aus. Hemsterhuis, ein holländischer Philosoph, war der Erste, der, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, in seinen Schriften den größten Theil der hohen Ideen andeutete, auf welche die neue deutsche Schule gegründet ist. Seine Werke sind auch sehr merkwürdig durch den Contrast, welcher sich zwischen dem Charakter seines Styls und den Gedanken findet, welche er ausspricht. Lessing ist Enthusiast mit ironischen Formen; Hemsterhuis mit einer mathematischen Sprache. Nur unter den germanischen Nationen findet man die Erscheinung von Schriftstellern, welche die abstrakteste Metaphysik der Vertheidigung der exaltirtesten Systeme widmen, und eine lebhafte Einbildungskraft unter einer strengen Logik verbergen.
Die Menschen, welche gegen eine Einbildungskraft, die nicht die ihrige ist, immer auf ihrer Huth sind, vertrauen sehr gern Schriftstellern, welche aus philosophischen Erörterungen das Talent und die Empfindlichkeit verbannen, gerade, als ob es minder leicht wäre, über dergleichen Gegenstände mit Syllogismen zu faseln, als mit Beredsamkeit. Denn der Syllogismus, der immer zur Grundlage annimmt, daß ein Ding ist, oder nicht ist, führt unter allen Umständen die unermeßliche Menge unserer Eindrücke auf einen einfachen Wechselfall zurück, während die Beredsamkeit das Ganze derselben umfaßt. Gleichwol, und obgleich Hemsterhuis nur allzu oft philosophische Wahrheiten durch algebraische Formen ausgedrückt hat, regt in seinen Schriften ein moralisches Gefühl, eine reine Liebe für das Schöne unsere Bewunderung an; er, früher als andere, hat die Einheit empfunden, welche zwischen dem Idealismus, oder, um es deutlicher auszudrücken, dem freien Willen des Menschen und der stoischen Moral Statt findet, und gerade in dieser Beziehung erhält die neue deutsche Lehre eine große Wichtigkeit.
Selbst ehe Kants Schriften erschienen waren, hatte Jacobi die Philosophie der Sensationen, und noch weit siegreicher die auf den Eigennutz gegründete Moral bestritten. In seiner Philosophie hatte er sich nicht ausschließend an die abstrakten Formen des Raisonnements gebunden. Seine Zergliederung des menschlichen Gemüths ist voll Beredsamkeit und Zauber. In den folgenden Capiteln werde ich den schönsten Theil seiner Werke untersuchen, den, welcher die Moral berührt; aber er verdient als Philosoph einen besonderen Ruhm. Mehr als irgend ein Anderer in der Geschichte der alten und neuen Philosophie unterwiesen, hat er seine Studien der Unterstützung der einfachsten Wahrheiten gewidmet; und von allen Philosophen seiner Zeit ist er der erste gewesen, der unsere ganze geistige Natur auf ein religiöses Gefühl gestützt hat, so daß man sagen könnte, er habe die Sprache der Metaphysiker und der Gelehrten nur deshalb so gründlich gelernt, um auch in dieser Sprache der Tugend und der Gottheit zu huldigen.
Jacobi hat sich als einen Gegner Kants gezeigt; abeirer greift die Kantische Philosophie nicht als Verfechter der Sensationen-Philosophie an. [Diese Philosophie hat in Deutschland allgemein die Benennung der empirischen Philosophie erhalten.] Im Gegentheil macht er dem Königsberger Philosophen den Vorwurf, sich nicht genug auf die Religion zu stützen, die in allen übersinnlichen Wahrheiten als die einzig mögliche Philosophie gedacht werden muß.
Kants Lehre hat in Deutschland viele andere Gegner gefunden; aber man hat sie nicht angegriffen, ohne sie zu kennen, oder so, daß man ihr, statt aller Antwort, die Meinungen Locke's und Condillac's
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