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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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allgemein hat man die Fortschritte der Wissenschaften im abgewichenen Jahrhundert der Erfahrungs-Philosophie zugeschrieben; und da die Beobachtung auf dieser Bahn in der That sehr viel leistet: so hat man geglaubt, man komme um so sicherer in den Besitz wissenschaftlicher Wahrheiten, je mehr Wichtigkeit man auf äußere Gegenstände lege. Indeß ist Kepplers und Leibnitzens Vaterland in Ansehung der Wissenschaft nicht zu verschmähen. Die Haupt-Entdeckungen der Neueren, das Pulver, die Buchdruckerei, sind in Deutschland gemacht worden; und doch ist in Deutschland die Tendenz zum Idealismus immer vorherrschend gewesen.
    Bacon hat die spekulative Philosophie mit der Lerche verglichen, welche zum Himmel aufsteigt und wiederkehrt, ohne von ihrem Fluge das Mindeste mitzubringen, die Erfahrungs-Philosophie hingegen mit dem Falken, der eben so hoch steigt, aber mit seiner Beute zurückkommt.
    Vielleicht hätte Bacon in unseren Tagen die Nachtheile einer reinen Erfahrungs-Philosophie gefühlt. Sie hat den Gedanken in Sensation, die Moral in persönliches Interesse und die Natur in Mechanismus verkehrt; denn sie zweckte darauf ab, alles herabzusetzen. Die Deutschen haben ihren Einfluß in den physischen Wissenschaften, wie in den Wissenschaften einer höheren Ordnung bekämpft; und indem sie die Natur der Beobachtung unterworfen haben, betrachten sie ihre Phänomene im Allgemeinen auf eine umfassendere und geistreichere Manier; und die Herrschaft einer Meinung über die Einbildungskraft giebt immer ein günstiges Vorurtheil für dieselbe; denn bei einer erhabenen Auffassung des Universums kündigt Alles an, daß das Schöne auch das Wahre sey.
    Die neue Philosophie hat ihren Einfluß auf die physischen Wissenschaften in Deutschland schon auf mannigfaltige Weise ausgeübt. Derselbe Geist der Universalität, den ich in den Literatoren und Philosophen bemerkt habe, findet sich in den Vertretern der Wissenschaften wieder. Als genauer Beobachter erzählt Humboldt die Reisen, deren Gefahren er als ein tapferer Ritter getrotzt hat, und seine Schriften ziehen die Dichter eben so sehr an, als die Physiker. Schelling, Bader, Schubert u.s.w. haben Werke herausgegeben, in welchen die Wissenschaften in einen Gesichtspunkt gestellt sind, der das Nachdenken und die Einbildungskraft in Anspruch nimmt; und ehe an die neueren Metaphysiker zu denken war, hatten Keppler und Haller gezeigt, daß sie die Natur zu beobachten und zu errathen verstanden.
    Die anziehende Kraft der Gesellschaft ist in Frankreich so stark, daß sie Keinem erlaubt, auf die Arbeit viel Zeit zu verwenden. Es ist also sehr natürlich, daß man kein Vertrauen in Diejenigen setzet, welche mehrere Arten von Studien vereinigen wollen. Aber in einem Lande, wo das ganze Leben eines Menschen der Betrachtung gewidmet werden kann, hat man Grund, zur Vervielfältigung der Kenntnisse aufzumuntern. Man ergiebt sich alsdann derjenigen, die man allen übrigen vorzieht; allein, es ist vielleicht unmöglich, eine Wissenschaft gründlich inne zu haben, ohne sich mit allen beschäftigt zu haben. Sir Humphry Davy, gegenwärtig der erste Chemiker Englands, kultivirt die schönen Künste mit eben so viel Geschmack als Erfolg. Die Literatur verbreitet Licht über die Wissenschaften, wie diese über die Literatur; und der Zusammenhang, welcher unter den Gegenständen der Natur Statt findet, muß sich auch in den Ideen des Menschen antreffen lassen. Die Universalität der Kenntnisse führt nothwendig zu dem Wunsch, die allgemeinen Gesetze der physischen Ordnung aufzufinden. Von der Theorie steigen die Deutschen zur Erfahrung herab; von der Erfahrung erheben sich die Franzosen zur Theorie. In Werken der Literatur machen die Franzosen den Deutschen den Vorwurf, daß sie nur die Schönheiten des Details haben, und sich nicht auf die Zusammensetzung eines Werks verstehen. Die Deutschen hingegen werfen den Franzosen vor, daß sie in den Wissenschaften nur besondere Facta in Betrachtung ziehen, und sie nicht an ein System knüpfen; und hierin hauptsächlich besteht der Unterschied zwischen den Deutschen und den französischen Gelehrten.
    In der That, wäre es möglich, die Principien zu entdecken, welche dies Universum regieren: so würde es zuverlässig besser seyn, von dieser Quelle ausgehend, alles zu studiren, was sich daraus ableiten läßt. Indeß weiß man so viel als gar nichts von dem Ganzen in allen Dingen, es sey denn mit Hülfe der Einzelnheiten, und die Natur ist für den Menschen nur eine

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