Ueber Deutschland
Freunde wie eine Domäne bewirthschaften, indem sie sich dieselben blos einträglich zu machen suchen.
Indeß muß man sich in Acht nehmen vor den so subtilen und so abgestuften Gefühls-Vorschriften, welche so viele deutsche Schriftsteller vervielfältigt haben, und wovon ihre Romane voll sind. Ihrer Rechtlichkeit, ihrer Aufrichtigkeit in allen reellen Verhältnissen des Lebens gewiß, fühlen sie sich versucht, die Affectation des Schönen als eine Verehrung für das Gute zu betrachten, und sich in dieser Art bisweilen Uebertreibungen zu erlauben, welche alles verderben.
Dieser Wetteifer von Empfindsamkeit zwischen einigen Weibern und einigen Schriftstellern Deutschlands, würde im Grunde sehr unschuldig seyn, wenn das Lächerliche, was man mit der Affectation verbindet, nicht immer eine Art von Ungunst auf die Aufrichtigkeit selbst würfe. Die kalten und selbstischen Männer finden ein besonderes Vergnügen daran, über leidenschaftliche Zuneigungen zu spotten, und möchten alles, was sie nicht selbst empfinden, für erkünstelt ausgeben. Es giebt sogar wahrhaft gefühlvolle Personen, welche die süßliche Uebertreibung über ihre eigenen Eindrücke mit Ekel erfüllt, und denen man einen Widerwillen gegen das Gefühl einflößt, wie man ihnen dergleichen durch langweilige Predigten und abergläubische Uebungen gegen die Religion einflößen würde.
Man thut Unrecht, wenn man die positiven Ideen, die wir von dem Guten und dem Bösen haben, auf die Zartheiten der Empfindsamkeit anwendet. Einem Charakter einen Vorwurf daraus machen, daß ihm in dieser Hinsicht etwas fehlt, ist gerade so, als wenn man Jemand darüber verklagen wollte, daß er kein Dichter ist. Die natürliche Empfindlichkeit Derer, die mehr denken, als sie handeln, kann sie ungerecht machen gegen Personen von einem anderen Schlage. Es bedarf der Einbildungskraft, um zu errathen, welche Leiden das Herz zufügen kann, und die besten Menschen von der Welt sind in dieser Hinsicht oft plump und einfältig; sie gehen über Empfindungen weg, als ob sie über Blumen gingen, sich wundernd, daß sie sie welken machen. Giebt es nicht Menschen, welche den Raphael nicht bewundern, welche die Musik ohne Rührung vernehmen, denen der Ocean und die Himmel nur eintönig scheinen? Wie sollten doch solche die Stürme der Seele begreifen?
Werden selbst die allergefühlvollsten Charaktere in ihren Hoffnungen nicht muthlos gemacht? Können sie nicht von einer Art von innerer Dürre ergriffen werden, als ob die Gottheit sich von ihnen zurückgezogen hätte? Sie bleiben ihren Gefühlen deshalb nicht minder getreu; aber es giebt keinen Weihrauch mehr in dem Tempel, keine Musik mehr im Heiligthume, keine Rührung mehr im Herzen. Bisweilen gebietet auch das Unglück, die Stimme des Gefühls in sich zum Schweigen zu bringen; diese Stimme, welche, je nachdem sie zu dem Verhängniß paßt, oder nicht paßt, harmonisch oder zerreissend ist. Es ist also unmöqlich, aus der Empfindsamkeit eine Pflicht zu machen; denn die, welche sie haben, leiden daran genug, um nicht sehr oft das Recht und den Wunsch zu haben, sie in Schranken einzuschließen.
Glühende Nationen sprechen von der Empfindsamkeit nur mit Schrecken; friedliche und sinnige Nationen hingegen glauben sie ohne Furcht aufmuntern zu können. Uebrigens ist dies ein Gegenstand, über welchen nie mit voller Wahrheit geschrieben worden ist. Die Weiber machen daraus einen Roman, und die Männer eine Geschichte; aber das menschliche Herz ist noch weit davon entfernt, in seinen innigsten Beziehungen ergründet zu seyn. Einmal wird vielleicht Jemand Alles aufrichtig sagen, was er gefühlt hat, und dann wird man darüber erstaunen, daß die meisten Maximen und Beobachtungen irrig sind, und daß im Innern der Seele, welche man beschreibt, noch eine unbekannte Seele ist.
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Neunzehntes Capitel. Von der Liebe in der Ehe.
In der Ehe ist die Empfindsamkeit eine Pflicht. In jedem anderen Verhältniß mag die Tugend ausreichen; allein in diesem, wo die Schicksale in einander verflochten sind, wo ein und derselbe Antrieb so zu sagen zwei Herzen schlagen macht, scheint ein tiefes Gefühl beinahe ein nothwendiges Band zu seyn. Der Leichtsinn der Sitten hat zwischen Gatten so viel Kummerstoff geworfen, daß die Moralisten des abgewichenen Jahrhunderts sich gewöhnt hatten, alle Genüsse des Herzens auf die väterliche und mütterliche Liebe zu beziehen, und in der Ehe kaum noch etwas anderes erblickten, als die
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