Ueber Deutschland
Dietendorf (Neu-Dietendorf) gewesen, einem kleinen, in der Nähe von Erfurt gelegenen Dorfe, wo eine Brüdergemeinde sich niedergelassen hat. Es liegt drei Meilen von der Landstraße, am Rande eines Baches, zwischen zwei Bergen. Hohe Weiden und Pappelbäume umgeben es, und im Anblick der Landschaft ist etwas Beruhigendes und sanftes, welches das Gemüth zum Austritt aus den Stürmen des Lebens vorbereitet. Die Häuser und Straßen sind ungemein sauber. Die Frauen, alle gleich gekleidet, verbergen den Haarwuchs und binden um das Haupt ein Band, dessen Farben anzeigen, ob sie verheirathet, oder Mädchen, oder Wittwen sind. Die Männer sind braun gekleidet, ungefähr wie die Quacker. Alle beschäftigt eine kaufmännische Kunstthätigkeit; aber in dieser vernimmt man nicht das mindeste Geräusch. Jeder arbeitet mit eben so viel Regelmäßigkeit als Ruhe; und die innere Thätigkeit religiöser Gefühle besänftigt jede andere Bewegung.
Die Mädchen und Wittwen wohnen beisammen in Einem Schlafzimmer, und während der Nacht wacht abwechselnd eine von ihnen, um zu beten, und diejenigen zu verpflegen, die etwa krank sind. Die unverheiratheten Männer leben auf demselben Fuß. Und so existirt eine große Familie für den, der die seinige nicht hat, und die Benennung von Bruder und Schwester ist allen Christen gemein.
An der Stelle der Glocken laden Blase-Instrumente von sehr schöner Harmonie zum Gottesdienst ein. Ging man, unter den Tönen dieser gebietenden Musik in die Kirche, so fühlte man sich der Erde enthoben; man glaubte die Trompeten des Weltgerichts zu vernehmen, nicht die, welche Gewissenbisse furchtbar machen, wohl aber die, welche ein frommes Vertrauen uns hoffen läßt. Es schien, als ob die göttliche Barmherzigkeit sich in diesem Ausruf offenbarte und zum Voraus eine neuschaffende Verzeihung ankündigte.
Die Kirche war mit weißen Rosen und Weißdornblüthen geschmückt. Gemälde waren nicht aus dem Tempel verbannt, und die Musik wurde hier als ein Theil des Gottesdienstes geübt. Nur Psalmen sang man. Keine Predigt, keine Messe, kein Raisonnement, keine theologische Erörterung; es war Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit. Die Frauen, alle weiß gekleidet, standen neben einander ohne irgend einen Standesunterschied; sie schienen unschuldige Schatten, welche vor den Richterstuhl der Gottheit traten.
Der Kirchhof der Mährischen Brudergemeinde ist ein Garten, dessen Gänge mit Leichensteinen bezeichnet sind, neben welchen man ein blühendes Gesträuch gepflanzt hat. Alle diese Steine sind gleich; von den Gesträuchen erhebt sich keins über das andere, und dieselbe Grabschrift ist allen Todten gemein: geboren den und den, heimgegangen den. Bewunderungswürdiger Ausdruck, um das Ziel unseres Lebens zu bezeichnen. Die Alten sagten: Er hat gelebt, und warfen so einen Schleier über das Grab, um die Idee desselben zu verstecken. Die Christen setzen über dasselbe den Stern der Hoffnung.
Am Ostertage wird der Gottesdienst auf dem Kirchhofe gefeiert, der sich neben der Kirche befindet, und die Auferstehung mitten unter Gräbern verkündigt. Die, welche dieser gottesdienstlichen Handlung beiwohnen, wissen, welches der Stein ist, den man auf ihren Sarg legen wird, und athmen schon den Duft des jungen Baumes, dessen Blätter und Blüthen sich auf ihre Gräber neigen. So hat man in unseren Zeiten eine ganze Armee ihrer eigenen Leichenfeier beiwohnen und für sich selbst die Kirchengebete, die sich auf den Tod beziehen, sprechen gesehen; denn sie war entschlossen, die Unsterblichkeit zu erobern. [Zu Saragossa fand sie Statt, die bewundernswürdige Scene, auf welche ich anspielte, ohne sie noch deutlicher zu bezeichnen. Ein Adjudant des französischen Generals überbrachte der Garnison den Vorschlag zur Ergebung, und der Anführer der spanischen Truppen führte ihn auf den öffentlichen Platz, wo er um die schwarz ausgeschlagene Kirche die Soldaten und die Officiere auf den Knieen sah, der Leichenfeier zuhörend. In Wahrheit von diesen Kriegern leben nur noch wenige, und auch die Einwohner der Stadt haben das Schicksal ihrer Vertheidiger getheilt.]
Die mährische Brüdergemeinde kann sich nicht anschließen an den gesellschaftlichen Zustand, wie die Umstände ihn für uns nöthig machen; aber da man seit einiger Zeit so oft wiederholt hat, daß nur der Katholizismus zur Einbildungskraft rede, so muß bemerkt werden, daß das, was in der Religion das Gemüth bewegt, allen christlichen Kirchen gemein ist. Ein
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