Ueber Deutschland
ein Voß, ein Jacobi, haben sich von ihm um dieser Abschwörung willen getrennt, die alle Leiden und Kämpfe, welche die Reformirten seit drei Jahrhunderten bestanden haben, gewissermaßen der Lüge zeiht. Indeß hat Herr von Stolberg eine Geschichte der Religion Jesu Christi bekannt gemacht, welche die Billigung aller christlichen Gemeinden zu finden verdient. Zum ersten Male hat man die katholischen Meinungen so vertheidigt gesehen; und wenn der Graf von Stolberg nicht im Protestantismus erzogen worden wäre, so würde er nie die Unabhängigkeit des Geistes erworben haben, durch welche er so viel Eindruck auf aufgeklärte Menschen macht.
Man findet in diesem Buche eine vollkommene Kenntniß der heiligen Schriften und sehr anziehende Untersuchungen über verschiedene Religionen Asiens in ihrer Beziehung mit dem Christenthum. Die Norddeutschen verstehen, auch wenn sie sich den positivsten Glaubenslehren unterwerfen, noch immer, ihnen das Gepräge ihrer Philosophie zu geben.
Der Graf von Stolberg schreibt dem alten Testamente in seinem Werke einen weit größeren Werth zu, als die protestantischen Schriftsteller gewöhnlich thun. Er betrachtet das Opfer als die Grundlage aller Religion, und den Tod Abels als den ersten Typus dieses Opfers, das das Christenthum begründet. Wie man auch über diese Meinung urtheilen möge: immer giebt sie viel zu denken. Die meisten alten Religionen haben Menschenopfer eingeführt. Auch in dieser Barbarei war etwas Merkwürdiges; nämlich das Bedürfnis einer feierlichen Sühnung. Nichts vermag, in der That, aus der Seele die Ueberzeugung zu tilgen, daß in dem Blute des Unschuldigen etwas Geheimnißreiches ist, und daß Himmel und Erde davon bewegt werden. Immer haben die Menschen geglaubt, daß, in diesem Leben sowohl als im zukünftigen, die Gerechten den Missethätern Verzeihung verschaffen könnten. Es giebt im menschlichen Geschlechte ursprüngliche Ideen, die bei allen Völkern und in allen Zeiten mehr oder weniger verunstaltet zum Vorschein treten. Ueber diese Ideen nachzudenken kann man deshalb nicht ermüden, weil sie sicher einige verlorne Ansprüche des menschlichen Geschlechts in sich schließen.
Die Ueberzeugung, daß die Bitten und die Ergebung des Gerechten den Schuldvollen retten können, schreibt sich unstreitig von den Gefühlen her, die wir in den Beziehungen des Lebens haben; aber in Sachen des religiösen Glaubens zwingt uns nichts, solche Inductionen zu verwerfen. Was kennen wir denn mehr, als unsere Gefühle, und warum sollten sie nicht auf Glaubenswahrheiten angewendet werden? Was kann es in dem Menschen geben, als ihn selbst, und warum unter dem Vorwande des Anthropomorphismus, ihn verhindern, sich, nach seiner eigenen Seele, ein Bild von der Gottheit zu machen? Kein anderer Bote konnte ihm, denke ich, darüber Nachrichten bringen.
Eifrig beweiset der Graf von Stolberg, daß die Tradition von dem Sündenfalle des Menschen bei allen Völkern der Erde, besonders aber im Morgenlande, existirt hat, und daß alle Menschen in ihrem Herzen die Zurückerinnerung an ein verlornes Glück getragen haben. Wirklich giebt es in dem Menschen zwei Tendenzen, welche eben so wesentlich von einander verschieden sind, als Gravitation und Anziehungskraft in der physischen Welt; nemlich die Idee von Verfall und Vervollkommnung. Man möchte behaupten, wir empfänden zugleich das Bedauern über den Verlust einiger uns freiwillig zugestandenen schönen Gaben, und die Hoffnung von Gütern, die wir durch unsere Bemühungen erwerben können: dergestalt, daß die Lehre von der Vervollkommnung und die vom goldenen Zeitalter, vereinigt und vermengt, in dem Menschen zugleich den Kummer über den Verlust und das Bestreben nach Wiederbesitz anregen. Das Gefühl ist trübsinnig; der Verstand vermessen. Jenes blickt in die Vergangenheit, dieser in die Zukunft; und aus dieser Träumerei und diesem Aufschwunge erwächst die wahre Ueberlegenheit des Menschen; ich meine dies Gemisch von Selbstbeschauung und Thätigkeit, von Ergebung und Willenskraft, das ihm gestattet, sein irdisches Leben an den Himmel anzuknüpfen.
Nur Diejenigen nennt Stolberg Christen, welche mit kindlicher Einfalt die Worte der heiligen Schrift in sich aufnehmen; aber in die Deutung eben dieser Worte trägt er einen philosophischen Geist, der den katholischen Meinungen das Dogmatische und Unduldsame nimmt. Worin unterscheiden sich also jene religiösen Männer, die Deutschland zur Ehre gereichen, und warum sollten die
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