Ueber Deutschland
Lande, wo solche Gefühle, Volksgefühle sind und der Lust, die man einathmet, ich weiß nicht, welche religiöse Brüderlichkeit sie mittheilen, die aus Liebe zum Himmel und aus Mitgefühl für den Menschen zusammengesetzt ist.
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Drittes Capitel. Von dem Cultus der mährischen Brüdergemeinde.
In dem Protestantismus liegt vielleicht allzu viel Freiheit, um eine gewisse religiöse Strenge zu befriedigen, die sich des, von großen Unfällen zu Boden gedrückten, Menschen bemächtigen kann. Verschwindet doch, selbst in dem gewöhnlichen Laufe des Lebens, bisweilen ganz plötzlich die Realität dieser Welt, so daß man sich inmitten alles dessen, was man anzieht und wovon man angezogen wird, wie auf einem Tanzsaal befindet, dessen Musik man nicht versteht. So wie nun die Bewegung auf diesem Tanzsaal sinnlos scheinen würde, so bemächtigt sich des Braminen wie des Wilden eine Art von träumerischer Apathie, wenn der eine, vermöge vielen Denkens, der andere, vermöge seiner tiefen Unwissenheit, ganze Stunden in stummer Betrachtung des Schicksals verleben; die einzige Thätigkeit, deren man alsdann noch fähig ist, ist die, welche den Gottesdienst zum Gegenstande hat. Es macht Vergnügen, jeden Augenblick etwas für den Himmel zu thun; und diese Stimmung ist es, welche Klöster anziehend macht, wenn sie gleich übrigens sehr bedeutende Nachtheile in sich schließen.
Die Niederlassung mährischer Brüder sind die Klöster der Protestanten, und der religiöse Enthusiasmus des nördlichen Deutschlands hat ihnen, vor etwa hundert Jahren, ihre Entstehung gegeben. Doch, wenn gleich diese Vergesellschaftung vollkommen eben so streng ist, als ein katholisches Kloster, so ist sie in ihren Grundsätzen liberaler. Man legt kein Gelübde ab; alles geht aus dem freien Willen hervor. Männer und Weiber sind nicht von einander geschieden, und die Ehe ist nicht untersagt. Bei dem allen ist die ganze Gesellschaft eine kirchliche, d. h. alles in derselben geschieht aus Religion und für dieselbe. Die Autorität der Kirche regiert diese Gemeinde von Gläubigen; aber diese Kirche hat keine Priester, und das Priesterthum wird abwechselnd von den religiösesten und ehrwürdigsten Personen verrichtet.
Vor ihrer Verheirathung leben Männer und Weiber getrennt von einander in diesen Zusammenkünften, wo die vollkommenste Gleichheit herrscht. Der ganze Tag wird mit Arbeiten ausgefüllt, die für alle Abstufungen dieselbe sind. Die Idee der Vorsehung, allen immer gegenwärtig, leitet alle Handlungen der mährischen Brüder.
Wenn ein junger Mann eine Gefährtin nehmen will, so wendet er sich an die Vorsteherin der Mädchen oder Wittwen, und bittet um diejenige, die er heirathen möchte. In der Kirche wird gelooset, um zu erfahren, ob er sich mit der Frau, welche er vorzieht, verbinden soll; und ist das Loos gegen ihn, so verzichtet er auf seine Forderung. Die mährischen Brüder haben es in der Ergebung so weit gebracht, daß sie dieser Entscheidung nie widerstehen; und da sie die Frauen nur in der Kirche sehen, so kostet es sie um so weniger, ihrer Wahl zu entsagen. Diese Manier über die Heirath, wie über viel andere Umstände des Lebens, zu entscheiden, verkündigt den allgemeinen Geist der Gottesverehrung unter den mährischen Brüdern. Anstatt bei der Unterwerfung unter den Willen des Himmels stehen zu bleiben, bilden sie sich ein, ihn erforschen zu können, sey es durch Eingebungen, oder, was noch seltsamer ist, durch Befragung des Zufalls. Gottes Wege werden dem Menschen durch die Pflicht und durch die Begebenheiten offenbart. Wie kann er sich schmeicheln, sie durch andere Mittel zu erforschen? Uebrigens bemerkt man bei den mährischen Brüdem im Ganzen die evangelischen Sitten, die zu den Zeiten der Apostel in den christlichen Gemeinden vorhanden seyn mußten. Weder außerordentliche Dogmen, noch gewissenhafte Uebungen sind das Band dieser Vergesellschaftung. Das Evangelium wird in ihr auf die natürlichste und klarste Weise ausgelegt; aber man ist den Folgerungen dieser Lehre getreu, und bringt, in jeder Beziehung, sein Betragen in Harmonie mit den religiösen Grundsätzen. Vor allen Dingen beweisen die mährischen Brüdergemeinden, daß der Protestantismus in seiner Einfachheit zu einer höchst strengen Lebensweise und zu einer höchst begeisterten Religion führen kann. Tod und Unsterblichkeit, gehörig begriffen, reichen aus, um das Daseyn zu beschäftigen und zu leiten.
Ich bin vor einiger Zeit in
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