Ueber Deutschland
eben so viel, als was man gemeinhin: das Geheimniß der Comödien bewahren, nennt. In der Unwissenheit beharrt man nur, weil man nicht weiß, was es damit auf sich hat; aber von dem Augenblick an, wo das Schweigen anbefohlen ist, hat schon Jemand gesprochen, und um die Gedanken, welche die Worte angeregt haben, zu ersticken, muß man die Vernunft herabsetzen. Es giebt Menschen voll Thatkraft und Treuherzigkeit, die gewisse philosophische Wahrheiten nie geahnet haben; die sie aber wissen und verheimlichen, sind Heuchler, oder wenigstens sehr anmaßende und irreligiöse Wesen. Sehr anmaßend; denn mit welchem rechte bilden sie sich ein, zur Classe der Eingeweihten zu gehören, während die Uebrigen nur Profane genannt werden können? Sehr irreligiös; denn gäbe es eine philosophische oder natürliche Wahrheit, kurz eine Wahrheit, welche mit der Religion im Widerspruch stände, so würde diese nicht seyn, was sie ist: das höchste Licht.
Um Solchen, die an das Christenthum, d. h. An eine Offenbarung der sittlichen Gesetze des Menschen und des Universums glauben wollen, die Unwissenheit, das Geheimniß und die Dunkelheit zu empfehlen, muß man es schlecht kennen. Oeffnet die Thore des Tempels; ruft zu eurem Beistande die schönen Künste, die Wissenschaften, die Philosophie auf; sammelt alles in demselben Lichtheerd, um den Urheber der Schöpfung zu ehren und zu begreifen; und wenn die Liebe gesagt hat, der Name des geliebten Gegenstandes scheine auf den Blättern jeder Blume geschrieben: wie sollte denn nicht die Gottheit in allen den Ideen seyn, die sich an die ewige Kette knüpfen!
Die Grundlage des Protestantismus ist das Recht zu untersuchen, was man glauben soll. So verstanden es freilich nicht die ersten Reformatoren; sie glaubten die Herkules-Säulen des menschlichen Geistes an den Gränzen ihrer eigenen Einsichten aufstellen zu können. Aber mit Unrecht erwarteten sie, daß man sich ihren Entscheidungen als untrüglich unterwerfen würde, sie, die jede Autorität dieser Art in der katholischen Religion verwarfen. Der Protestantismus mußte also der Entwickelung und den Fortschritten der Aufklärung folgen, während der Katholicismus sich rühmte, mitten unter den Wogen der Zeit unveränderlich zu seyn.
Unter den deutschen Schriftstellern protestantischer Religion hat es sehr verschiedene Ansichten gegeben, die nacheinander die Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben. Mehrere Gelehrte haben unerhörte Untersuchungen über das alte und neue Testament angestellt. Michaelis hat die Sprachen, die Alterthümer und die Naturgeschichte Asiens studirt, um die Bibel auszulegen; und während in Frankreich der philosophische Geist das Christenthum zu einem Gegenstande des Spottes machte, war es in Deutschland der Gegenstand der Gelehrsamkeit. Wie wohl nun diese Art von Bemühung religiöse Gemüther in mancher Hinsicht verletzen kann; welche Achtung für das Buch, welches der Gegenstand einer so ernsten Forschung ist, setzt sie nicht voraus! Diese Gelehrten griffen weder die Dogmen, noch die Prophezeihungen, noch die Wunder an; aber nach ihnen kam ein ganzer Schwarm von Solchen, die der Bibel und den neuen Testamente eine ganz natürliche Erklärung geben wollten, und, indem sie die eine wie die andere in dem Lichte guter Schriften lehrreichen Inhalts betrachteten, in den Mysterien nur orientalische Metaphern entdeckten.
Diese Theologen nannten sich vernünftig, weil sie jede Art von Dunkelheit zu zerstreuen glaubten; aber es war gewiß eine falsche Anwendung des Forschungsgeistes, welche Wahrheiten betraf, die man nur durch Erhebung und Andacht des Gemüths als solche fühlt. Der Forschungsgeist soll dazu dienen, das, was über die Vernunft gehet, ungefähr eben so zu erkennen, wie der Astronom Höhen misset, die das Auge des Menschen nicht erreichen kann: er soll also, seinem wahren Zwecke nach, unerfaßliche Regionen anzeigen, ohne sie leugnen oder der Sprache unterwerfen zu wollen; nur so bedient man sich seiner mit Erfolg.
Die gelehrte Auslegung befriedigt eben so wenig, wie die dogmatische Autorität. Die Einbildungskraft und Empfindsamkeit der Deutschen fanden also ihre Rechnung nicht bei einer Art von prosaischer Religion, welche dem Christenthum eine Achtung der Vernunft bewilligte. Herder war der Erste, welcher den Glauben durch die Poesie wieder ins Leben rief; als genauer Kenner der orientalischen Sprachen hatte er für die Bibel dieselbe Art von Verehrung, die ein geheiligter Homer einflößen würde.
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