Ueber Deutschland
Die natürliche Neigung der Geister bringt in Deutschland mit sich, daß man die Poesie als eine Art von Propheten-Gabe betrachtet; es war also keine Entweihung, mit dem religiösen Glauben die Begeisterung zu verbinden, welche er einhaucht.
Streng orthodox war Herder nicht; dennoch verwarf er, wie alle seine Anhänger, jene gelehrten Commentare, welche die Bibel vereinfachen wollten und sie eben dadurch vernichteten. Eine Art poetischer Theologie, unbestimmt aber belebt, frei aber gefühlvoll, verdrängte die pedantische Schule, welche sich, durch Verbannung einiger Wunder aus dem Universum, der Vernunft zu nähern glaubte, und doch ist das Wunderbare in mehreren Hinsichten bei weitem leichter zu fassen, als das, was man das Natürliche zu benennen beliebt hat.
Schleiermacher , der Uebersetzer des Platon, hat über die Religion Reden von seltener Beredsamkeit geschrieben. Er bekämpft jene Gleichgültigkeit, die man Toleranz nannte,sowie die zerstörende Arbeit, die man für unpartheiische Forschung ausgab. Auch Schleiermacher ist kein orthodoxer Theolog; aber in den religiösen Dogmen, die er annimmt, zeigt er Glaubenskraft und eine große Rüstigkeit metaphysischer Anschauungen. Mit viel Wärme und eben so viel Licht hat er das Gefühl des Unendlichen, von welchem im vorhergehenden Capitel die Rede gewesen ist, entwickelt. Schleiermachers und seiner Schüler religiöse Meinungen könnte man eine philosophische Theologie nennen.
Endlich haben sich Lavater und mehrere Männer von Talent zu den mystischen Meinungen bekannt, so wie Fenelon in Frankreich und verschiedene Schriftsteller in andern Ländern sie aufgefaßt haben.
Lavater war früher da, als einige von den Männern, die ich genannt habe. Gleichwol hat die Lehre, für deren vorzüglichsten Urheber er gehalten werden kann, erst seit sehr wenigen Jahren in Deutschland großen Beifall gefunden. Zwar ist Lavaters Werk über die Physiognomik berühmter, als seine religiösen Schriften; aber was ihn vorzüglich bemerkenswerth machte, war sein persönlicher Charakter, in welchem sich ein seltenes Gemisch von Scharfsinn und Enthusiasmus fand. Mit einer ungemeinen Feinheit des Geistes beobachtete er die Menschen, und mit unbeschränktem Vertrauen gab er sich Ideen hin, die man abergläubig nennen könnte. Es fehlte ihm nicht an Eigenliebe, und vielleicht war diese der Grund jener seltsamen Meinungen, die er über sich selbst und seinen Wunderberuf nährte; gleichwol war seine religiöse Einfalt und die Ungeschminktheit seines Gemüths ohne Gleichen; nicht ohne Erstaunen konnte man in unseren Gesellschaftszimmern einen Prediger erblicken, wie ein Apostel begeistert und als Weltmann höchst geistreich. Für Lavaters Aufrichtigkeit standen seine guten Handlungen und sein schöner Blick ein, der den Abdruck unnachahmlicher Wahrheit in sich trug.
Die religiösen Schriftsteller des gegenwärtigen Deutschlands theilen sich in zwei scharf getrennte Classen, nemlich in die Vertheidiger der Reformation und die Anhänger des Katholizismus. Ich werde die Schriftsteller dieser verschiedenen Meinungen besonders untersuchen; aber was vor allen Dingen gesagt werden muß, ist, daß, wenn das nördliche Deutschland von allen Ländern dasjenige ist, wo die theologischen Fragen am meisten erörtert worden sind, es zugleich das Land ist, wo religiöse Gesinnungen die meiste Ausbreitung haben. Der National-Charakter trägt den Stempel derselben und das Genie der Künste und der Literatur schöpft in ihr seine Begeisterung. Unter Leuten aus dem Volke hat im nördlichen Deutschland die Religion einen idealen und sanften Charakter, der in einem Lande, dessen Sitten man sich als sehr roh denkt, nur um so mehr überrascht.
Als ich einmal von Dresden nach Leipzig reisete, verweilte ich am Abend zu Meissen, einer kleinen Stadt auf einer Höhe über der Elbe gelegen, deren Kirche Grabmäler enthält, welche glänzenden Zurückerinnerungen geweiht sind. Ich gieng auf der Esplanade spatzieren, und überließ mich der Träumerei, welche die untergehende Sonne, die Aussicht auf eine ferne Landschaft und das Geräusch im Grunde des Thales so leicht in unser Gemüth bringen. Da vernahm ich die Stimmen einiger gemeinen Leute und fürchtete gemeine Worte zu hören, wie man sie anderwärts auf den Straßen singt. Wie groß war mein Erstaunen, als ich am Schlusse jeder Strophe die Worte verstand: „Sie haben sich geliebt und sind in der Hoffnung gestorben, sich eines Tages wiederzufinden!" Wohl dem
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