Ueber Deutschland
nördliche Theil, der Zufluchtsort der strengen und der schönen Wissenschaften seyn. Vielleicht hätte diese Uebereinstimnmng freier Institutionen, mit einer wirklichen Kraft verbunden, Daseyn gegeben; und vielleicht hätte man diese traurige Trennung des Charakters und der Aufklärung vermieden, die den Norden der Träumerei überliefert und den Süden in seiner Unwissenheit unterstützt hat. Aber ohne sich in Muthmaßungen über das, was geschehen seyn würde, zu verlieren — wobei nie etwas herauskommt: — so kann man doch nicht läugnen, daß die Epoche der Reformation diejenige sey, wo die Wissenschaften und die Philosophie sich in Deutschland eingeführt haben. Das Land behauptet nicht den ersten Rang weder in Ansehung des Krieges, noch der Künste, noch der politischen Freiheit; aber stolz kann und darf es seyn auf seine Aufklärung und sein Einfluß auf das denkende Europa schreibt sich vom Protestantismus her. Dergleichen Revolutionen werden durch Raisonnements weder hervorgebracht noch aufgehoben; sie gehören dem historischen Gange des menschlichen Geistes an, und diejenigen, welche ihre Urheber zu seyn scheinen, sind immer nur ihre Werkzeuge.
Gegenwärtig entwaffnet, hat der Katholizismus die Majestät eines alten Löwen, welcher früher die Welt zittern machte. Als die Mißbräuche seiner Gewalt die Reformation herbeiführten, that er dem menschlichen Geiste Gewalt an; und weit entfernt, daß man sich damals seinem Uebergewicht aus Dürftigkeit des Herzens entgegengestellt hätte, verlangte man vielmehr die Freiheit zu denken, so kräftig zurück, um von allen Fähigkeiten des Verstandes und der Einbildungskraft Gebrauch machen zu können. Wenn durchaus göttliche Schickungen — solche, wobei die Hand der Menschen gar nicht fühlbar würde — mit der Zeit eine Annäherung zwischen beiden Kirchen herbeiführen sollten, so müßte man, dünkt mich, Gott mit neuer Bewegung neben den ehrwürdigen Priestern anrufen, die in den letzten Jahren des abgewichenen Jahrhunderts so viel für ihr Gewissen gelitten haben. Aber es ist zuverläßig nicht die Religionsveränderung einiger Männer, am wenigsten ist es die Ungunst, welche ihre Schriften auf die reformirte Religion zu werfen sich bestreben, was zur Einheit der religiösen Meinungen führen könnte.
In dem menschlichen Verstande giebt es zwei durchaus verschiedene Kräfte, von welchen die eine das Bedürfniß zu glauben, die andere das Bedürfniß zu untersuchen einflößt. Keine von diesen Fähigkeiten soll auf Kosten der andern befriedigt werden. Protestantismus und Katholizismus haben ihre Wurzel im menschlichen Herzen; es sind moralische Mächte, die sich in den Nationen entwickeln, weil sie in jedem Menschen existiren. Wenn man in der Religion, wie in andern menschlichen Bestrebungen, das vereinigen kann, was Einbildungskraft und Vernunft wünschen, dann ist Friede im Menschen; oder in ihm, wie in dem Universum, folgen und bekämpfen sich die Macht zu schaffen und zu zerstören, der Glaube und die Forschung.
Um beide Neigungen zu vereinigen, hat man noch tiefer in den Schacht des menschlichen Gemüths eindringen wollen, und daraus sind die mystischen Meinungen entstanden, von welchen in dem nachfolgenden Capitel die Rede seyn wird. Aber die kleine Zahl Derer, die den Protestantismus abgeschworen haben, hat immer nur den alten Haß erneuert. Alte Benennungen beleben alte Zänkereien; die Magie bedient sich gewisser Worte, um Geister aufzurufen; man möchte behaupten, daß es in allen Dingen Wörter giebt, welche diese Macht ausüben — gerade diejenigen, welche dem Partheigeist zum Sammelpunkt gedient haben, und die man nicht aussprechen kann, ohne die Fackeln der Zwietracht von neuem zu schütteln. Die deutschen Katholiken haben sich bis jetzt sehr gleichgültig bewiesen gegen alles, was in dieser Hinsicht im Norden vorging. Die literarischen Meinungen scheinen die Ursache der geringen Zahl von Religionsveränderungen zu seyn, welche Statt gefunden haben, und weder die alte noch die neue Kirche hat sich damit beschäftigt.
Ein durch Charakter und Talente gleich achtungswerther Mann, der, von seiner Jugend an, als Dichter, als leidenschaftlicher Bewunderer des Alterthums, und als Uebersetzer des Homer berühmt ist — mit einem Worte, der Graf Friedrich Stolberg , hat in Deutschland zuerst das Signal zu diesen neuen Bekehrungen gegeben, welche später viele Nachfolger gefunden haben. Die berühmtesten Freunde des Grafen Stolberg, ein Klopstock,
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