Ueber Deutschland
uns zu Theil würden, nachdem wir uns großer Fehler schuldig gemacht hätten. Man würde sich alsdann von der Hand Dessen verlassen glauben, der uns dem irdischen Glück als unserer einzigen Zukunft hingäbe.
Entweder ist alles Zufall dieser Welt, oder es giebt gar keinen; und wenn es keinen giebt, so besteht das religiöse Gefühl darin, daß wir uns mit der allgemeinen Ordnung in Harmonie setzen, trotz dem Geiste der Rebellion und der Verheerung, welchen der Egoismus Jedem von uns besonders einflößt. Alle Dogmen und alle Gottesverehrung sind die verschiedenen Formen, welche dieses religiöse Gefühl je nach den Zeiten und den Ländern bekleidet hat; es kann sich durch den Schrecken verderben, wie sehr es auch auf as Vertrauen gegründet ist; aber immer besteht es in der Ueberzeugung, daß in den Ereignissen kein Zufall ist und daß die einzige Art, wie wir auf das Schicksal einwirken können, in der Bearbeitung unserer selbst besteht. Die Vernunft regiert deswegen nicht minder in Allem, was mit der Führung des Lebens zusammenhängt; aber wenn diese Haushälterin des Daseyns dasselbe nach ihrer besten Einsicht geordnet hat, so gehört das Innere unseres Herzens immer der Liebe, und was man Mystizismus nennt, ist diese Liebe in ihrer vollkommensten Reinheit.
Die Erhebung des Gemüths zu seinem Schöpfer ist der höchste Gottesdienst der mystischen Christen; aber nie wenden sie sich nach Gott, um die eine oder die andere Glückseligkeit des Lebens zu erhalten. Ein französischer Schriftsteller, der erhabene Ansichten hat, Herr von Saint Martin, hat gesagt: das Gebet sey ein Athemholen des Gemüths. Die Mystiker sind meistens überzeugt, daß es auf dieses Gebet eine Antwort giebt, und daß die große Offenbarung des Christenthums sich gewissermaßen in dem Gemüthe erneuert, so oft es sich mit Inbrunst zum Himmel erhebt. Glaubt man, daß es keine unmittelbare Mittheilung zwischen dem höchsten Wesen und dem Menschen gebe, so ist das Gebet, so zu sagen, ein Selbstgespräch; aber es wird zu einer weit ersprießlichern Handlung, wenn man überzeugt ist, die Gottheit mache sich fühlbar im Inneren unseres Herzens. In Wahrheit, es läßt sich nicht leugnen, daß Bewegungen in uns vorgehen, die von nichts Aeußerlichem herrühren, und die uns beruhigen und aufrecht erhalten, ohne daß man sie dem gewöhnlichen Zusammenhange der Ereignisse des Lebens zuschreiben könnte.
Menschen, welche in eine, ganz aus Verleugnung der Eigenliebe gegründete, Lehre Eigenliebe gebracht haben, haben aus jenen unerwarteten Hülfen den Vortheil gezogen, sich auf alle mögliche Weise zu täuschen. Sie haben sich für Auserwählte oder Propheten gehalten; sie haben sich eingebildet, Erscheinungen zu haben; kurz, sie haben sich, sich selbst gegenüber, in Aberglauben gestürzt. Was vermag nicht der menschliche Stolz, da er sich sogar in der Gestalt der Demuth in das Herz einschleicht! Aber es ist deshalb nicht minder ausgemacht, daß nichts einfacher, nichts reiner ist, als die Beziehungen des Gemüths auf Gott, so wie sie von den sogenannten Mystikern aufgefaßt werden, d. h. von Christen, welche Liebe in die Religion bringen.
Wer, der Fenelons geistreiche Werke lieset, fühlte sich wol nicht gerührt! Wo fände man mehr Licht, mehr Trost, mehr Nachsicht! Da ist kein Fanatismus, keine andere Strenge, als die Tugend, keine Unduldsamkeit, keine Ausschließung. Die Verschiedenheiten der christlichen Gemeinden können nicht gefühlt werden auf dieser Höhe, die sich über alle die zufälligen Formen, welche die Zeit schafft und zerstört, so sehr erhebt.
Der, welcher es wagen wollte, das vorherzusehen, was mit so großen Dingen in Verbindung steht, würde unstreitig sehr verwegen seyn. Gleichwol wage ich zu behaupten, daß alles darauf abzweckt, die religiösen Gefühle in den Gemüthern vorherrschend zu machen. Der Calcul hat über die Angelegenheiten dieser Welt eine solche Herrschaft errungen, daß alle Die, welche damit nichts zu schaffen haben, sich in das entgegenstehende Aeußerste werfen. Deshalb suchen alle einsame Denker, von dem einen Ende der Welt bis zum andern, die zerstreuten Strahlen der Literatur, der Philosophie und de r Religion in Einen Lichtheerd zu sammeln.
Im Ganzen fürchtet man, daß die religiöse Ergebung, die man im letzten Jahrhunderte Quietismus nannte, die nothwendige Lebensthätigkeit verleiden werde. Allein die Natur ist viel zu geschäftig, die individuellen Leidenschaften in uns anzuregen, als daß man
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