Ueber Deutschland
hat behauptet, die mißverstandene Unterwerfung unter den Willen Gottes führe viel zu oft zu der Unterwerfung unter den Willen der Menschen. Indeß hat doch die Nachgiebigkeit gegen die Gewalt nichts mit der religiösen Ergebung gemein. Unstreitig kann diese in der Sklaverei Trost geben; aber diesen giebt sie, indem sie der Seele alle Tugenden der Unabhängigkeit ertheilt. Aus Religion gleichgültig seyn gegen die Freiheit oder gegen die Unterdrückung des menschlichen Geschlechts, hieße Charakterschwäche für christliche Demuth halten; und nichts ist verschiedener von einander. Die christliche Demuth wirft sich nieder vor die Armen und Unglücklichen, und die Charakterschwäche schont beständig das Verbrechen, weil es in dieser Welt mächtig ist.
In den Zeiten des Ritterthums, wo die christliche Religion das größte Uebergewicht hatte, forderte es nie die Aufopferung der Ehre. Nun aber sind für Bürger Gerechtigkeit und Freiheit die Ehre. Gott demüthigt den Stolz, aber nicht die Würde des menschlichen Geschlechts; denn der Stolz besteht in der Achtung für die Rechte Anderer. Religiöse Menschen sind sehr geneigt, sich nicht in Dinge dieser Welt zu mischen, ohne durch eine offenbare Pflicht dazu berufen zu seyn, und man muß gestehen, daß durch die politischen Interessen so viel Leidenschaften angeregt werden, daß man sich nicht gut damit befassen kann, ohne sich Vorwürfe zu machen zu haben. Allein wenn der Muth des Gewissens einmahl erwacht, so giebt es keinen, der mit ihm wetteifern könnte.
Von allen Nationen ist die deutsche am meisten zum Mysticismus geneigt. Schon vor Luther hatten mehrere Autoren, unter welchen man Tauler anführen muß, in diesem Sinne über Religion geschrieben. Seit Luthers Zeiten haben die Mährischen Brüder diese Anlage, mehr, als irgend eine andere Secte, gezeigt. Gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hat Lavater mit großer Kraft das vernunftmäsige Christenthum, welches berlinische Theologen vertheidigten, bekämpft, und seine Art, die Religion zu empfinden, hat sehr viel Aehnlichkeit mit der des Fenelon. Mehrere lyrische Dichter von Klopstock an bis auf unsere Zeiten, haben in ihren Schriften einen Anstrich von Mystizismus. Die protestantische Religion, welche im nördlichen Deutschland herrscht, reicht nicht aus für die Einbildungskraft der Deutschen; und da der Katholizismus ein Feind philosophischer Untersuchungen ist, so müssen sich die eben so religiösen als sinnigen Deutschen nach einer Manier, die Religion zu fühlen, hinneigen, welche auf alle Gottesverehrungen anwendbar ist. Dazu kommt, daß der Idealismus in der Philosophie sehr viel Aehnlichkeit hat mit dem Mystizismus in der Religion: jener setzt die Realität aller Dinge dieser Welt in den Gedanken, dieser die Realität aller Dinge des Himmels in das Gefühl.
Mit unbegreiflichem Scharfsinn dringen die Mystiker in alles ein, was in uns Furcht oder Hoffnung, oder Leiden oder Glück entstehen macht; und niemand steigt, wie sie, zu dem Ursprunge der Bewegungen des Gemüths empor. Mit dieser Forschung ist so viel Anmuth verbunden, daß selbst mittelmäßige Köpfe, wenn sie in ihren Herzen nur die mindeste Anlage zum Mystizismus haben, durch ihre Unterhaltung gewinnen und fesseln, als wenn sie mit vorzüglichem Genie ausgestattet wären. Was den Umgang so leicht langweilig macht, ist, daß die Meisten nur von äußeren Gegenständen sprechen; und in dieser Gattung macht das Bedürfniß des Unterhaltungsgeistes sich fühlbar genug. Aber die religiöse Mystik schließt ein so ausgedehntes Licht in sich, daß sie selbst Solchen, die sie nicht aus den Händen der Natur empfangen haben, ein entschiedenes moralisches Uebergewicht ertheilt. Sie legen sich auf das Studium des menschlichen Herzens, diese erste aller Wissenschaften, und sie geben sich eben so viel Mühe die Leidenschaften zu kennen, um sie zu besänftigen, als die Weltmenschen, um sie zu benutzen.
Unstreitig lassen sich in dem Charakter Derer, deren Lehre die allerreinste ist, noch große Gebrechen nachweisen. Aber ist die Lehre daran Schuld? Man beweiset der Religion eine auffallende Huldigung durch die Forderungen, welche man an alle religiöse Menschen macht, sobald man sie als solche kennt. Man findet nämlich, daß sie inkonsequent sind, wenn sie Unrecht oder Schwächen haben. Und doch vermag nichts, die menschliche Beschaffenheit von Grund auf zu verändern. Gäbe die Religion immer die moralische Vollkommenheit und führte die Tugend
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