Ueber Deutschland
das Abendmahl zu reichen. Sein Sohn war, wie er, Geistlicher, und hatte in jüngeren Zügen, wie sein Vater, den Ausdruck der Frömmigkeit und Andacht. Jetzt reichten sich, nach dem Gebrauche, der Vater und der Sohn das Brod und den Kelch, welcher bei Protestanten zur Erinnerung an das rührendste aller Mysterien dienen; der Sohn sah in seinem Vater nur den Hirten, in dem von ihm gewählten Stande ergraut; der Vater achtete in seinem Sohne den Beruf, dem er gefolgt war. Beide, richteten, indem sie das Abendmahl genossen, an einander die Stellen des Evangeliums, welche Fremde wie Freunde mit demselben Bande umschließen sollen; und indem Beide ihre innigsten Gefühle in ihren Herzen bewahrten, schienen sie in Gegenwart der Gottheit; für welche Väter und Söhne gleich sehr Diener des Grabes und Kinder der Hoffnung sind, ihre persönlichen Verhältnisse zu vergessen.
Welche Poesie, welche Rührung, als Quelle aller Poesie, könnte in einem solchen Augenblicke dem Gottesdienste fehlen! Die Menschen, deren Wünsche uneigennützig, deren Gedanken religiös sind; die Menschen, welche im Heiligthum ihres Gewissens leben, und die Strahlen des Universums in demselben, wie in einem Brennspiegel, zusammenzufassen verstehen: diese, und nur diese, sind Priester des Cultus der Seele, und nichts vermag sie jemals zu veruneinigen. Eine unausfüllbare Kluft trennt die, welche sich von der Berechnung des Eigennutzes, und die, welche sich von ihren Gefühlen leiten lassen; alle übrigen Unterschiede der Meinungen sind nichts, aber dieser ist radical. Möglich, daß einst ein Schrei der Einheit sich erhebt, möglich, daß die Allgemeinheit der Christen dieselbe theologische, politische und moralische Religion zu bekennen verlangt; aber bis dies Wunder gezeitigt ist, sollen Alle, die ein Herz haben, dem sie folgen, sich gegenseitig achten.
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Fünftes Capitel. Von der religiösen Anlage, die man Mysticismus nennt.
Die religiöse Anlage, welche Mysticismus genannt wird, ist nichts anderes, als eine innigere Art und Weise, das Christenthum zu fühlen und aufzufassen. Da in dem Worte Mysticismus das Wort Mysterium (Geheimniß) enthalten ist: so hat man gewähnt, die Mystiker hätten außerordentliche Glaubenslehren und bildeten eine besondere Sekte. Mysterien kennen sie nur, in sofern ihr religiöses Gefühl dergleichen in sich schließt; und das Gefühl ist zugleich das Klarste, das Einfachste und das Unerklärlichste, was es giebt. Indeß muß man doch die Theosophen, d. h. diejenigen, welche sich, wie Jacob Böhm, St. Martin, u.s.w. mit der philosophischen Theologie beschäftigen, von den einfachen Mystikern unterscheiden. Jene wollen das Geheimniß der Schöpfung ergründen; diese halten sich an ihrem eigenen Herzen. Mehrere Kirchenväter, Thomas a Kempis, Fenelon, St. Franciskus von Sales, u.s.w. und bei den Protestanten eine Anzahl von englischen und deutschen Schriftstellern sind Mystiker gewesen, d. h. Menschen, welche aus der Religion eine Liebe machten, und sie allen ihren Gedanken, wie allen ihren Handlungen beimischten.
Für die ganze Lehre der Mystiker giebt es keine andere Grundlage, als das religiöse Gefühl, und dieses besteht in einem inneren Frieden voll Leben. Die Stürme der Leidenschaften vertragen sich mit keiner Ruhe; die Gelassenheit eines trockenen und mittelmäßigen Geistes tödtet das Leben des Gemüths; nur in dem religiösen Gefühl trift man eine vollkommene Vereinigung der Bewegung und Ruhe. Diese Stimmung ist, glaub' ich, in keinem Menschen anhaltend, wie fromm er auch seyn möge; aber die Erinnerung und die Erwartung dieser helligen Bewegungen entscheiden über das Betragen Derer, die sie kennen gelernt haben.
Betrachtet man die Leiden und Freuden des Lebens als eine Wirkung des Zufalls und des Glücksspiels , dann müssen Verzweifelung und Freude, so zu sagen, convulsivische Bewegungen seyn. Denn welch ein Zufall, wie der, der über unsere Existenz gebietet! Welchen Stolz, oder welche Reue muß man nicht empfinden, wenn es auf einen Schritt ankommt, der auf unser Schicksal hat Einfluß haben können? Welchen Foltern der Ungewißheit würde man nicht preis gegeben seyn, wenn unsere Vernunft allein über unser Geschick in dieser Welt entschiede? Allein, glaubt man, im Gegentheil, es gebe nur zwei für das Wohlseyn entscheidende Dinge, nemlich Reinheit der Absicht und Ergebung in das Ereigniß, sobald dieses nicht mehr von uns abhängt: dann werden unstreitig noch mehrere
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