Ueber Deutschland
zu Stufe begreifen sie alles, und das Wesentliche ist, die Fortschritte auf dem Gange der Vernunft bei den Kindern abzumessen. Dieser langsame, aber sichere Gang führt so weit als immer möglich, sobald man sich zum unverbrüchlichen Gesetze macht, ihn nicht zu übereilen.
Es ist ein anziehendes und einziges Schauspiel bei Pestalozzi, diese Kinder-Gesichter zu sehen, deren abgerundete, unbestimmte und zarte Züge den Ausdruck des Nachdenkens annehmen. Sie sind aufmerksam durch sich selbst, und betrachten ihre Studien, wie ein Mensch von gereiftem Alter sich mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigen würde. Etwas sehr Merkwürdiges ist, daß weder Strafen noch Belohnungen zur Aufmunterung in der Arbeit nöthig sind. Vielleicht zum erstenmal geht eine Schule von 150 Kindern ohne die Triebfeder der Nacheiferung und der Furcht. Wie viele böse Empfindungen werden dem Menschen erspart, wenn man von seinem Herzen Eifersucht und Demüthigung entfernt, wenn er in seinen Gespielen keine Nebenbuhler, in seinen Lehrern keine Richter erblickt! Rousseau wollte das Kind dem Gesetze des Schicksals unterwerfen; Pestalozzi schafft dieses Schicksal selbst in dem Laufe der Erziehung dieses Kindes, und bezweckt durch seine Decrete Glück und Vervollkommnung. Das Kind fühlt sich frei, weil es sich in der allgemeinen Ordnung gefällt, womit es umgeben ist, und deren vollkommene Gleichheit nicht einmal durch die mehr oder weniger ausgezeichneten Talente der Einzelnen gestört wird. Nicht auf Erfolg kommt es an, wohl aber auf Vorschritte zu dem Ziele, welchem Alle mit derselben Treuherzigkeit entgegen streben. Die Schüler werden Lehrer, wenn sie mehr wissen, als ihre Kameraden; die Lehrer werden wieder zu Schülern, wenn sie in ihrer Methode einige Unvollkommenheiten finden, und beginnen ihre Erziehung aufs Neue, um über die Schwierigkeiten des Unterrichts besser zu urtheilen.
Man fürchtet sehr allgemein, daß Pestalozzi's Methode die Einbildungskraft ersticken und sich der Originalität des menschlichen Geistes entgegenstellen werde. Für das Genie giebt es schwerlich eine Erziehung, und nur die Natur und die Regierung begeistern es und regen es an. Aber ursprüngliche Kenntnisse, die vollkommen klar und zuverlässig sind, können kein Hinderniß für das Genie werden; sie geben dem Geiste vielmehr eine Art von Festigkeit, die ihm auch die erhabensten Wissenschaften leicht macht. Man muß Pestalozzi's Schule bis jetzt als auf die Jugend begränzt betrachten. Nur für Leute aus der Classe des Volks ist seine Erziehung definitiv; aber eben deshalb kann sie einen höchst wohlthätigen Einfluß auf den Nationalgeist ausüben. Für reiche Leute muß die Erziehung in zwei Epochen zerfallen; in der ersten werden die Kinder von ihren Lehrern geleitet; in der zweiten unterrichten sie sich freiwillig, und diese selbstgewählte Erziehung muß auf den großen Universitäten erworben werden. Der Unterricht, den man bei Pestalozzi erwirbt, giebt Jedem, von welcher Classe er auch sey, eine Grundlage, auf welcher er, nach Gutbefinden, eine Hütte oder einen Pallast errichten kann.
Man würde sich in Frankreich sehr irren, wenn man glauben wollte, in Pestalozzi's Schule sey außer seiner raschen Methode, im Rechnen zu unterrichten, nichts Gutes weiter zu finden. Pestalozzi selbst ist gar nicht Mathematiker; auch Sprachen hat er nicht studirt. Er besitzt nur das Genie und den Instinkt, die Intelligenz der Kinder zu entwickeln; er weiß, welchen Weg ihr Gedanke verfolgt, um zum Ziel zu gelangen. Jene Reinheit des Characters, die eine edle Gelassenheit über die Affectionen des Herzens verbreitet, hat Pestalozzi für nöthig erachtet, auf die Operationen des Geistes überzutragen. Er achtet dafür, daß in vollständigen Studien ein Vergnügen der Sittlichkeit sey. In der That bemerken wir unaufhörlich, daß oberflächliche Kenntnisse eine Art von Hochmuth einflößen, der alles, was man nicht weiß, als unnütz, oder gefährlich, oder lächerlich zurückstößt. Auch sehen wir, daß diese oberflächlichen Kenntnisse die Pflicht auflegen, das, was man nicht weiß, geschickt zu verbergen; die Offenheit leidet unter den Mängeln des Unterrichts, deren man sich zu schämen nicht verfehlen kann; denn etwas vollkommen wissen, giebt dem Geiste eine Ruhe, welche einem guten Gewissen gleichkommt. Die Redlichkeit also, welche Pestalozzi in den Kreis der Intelligenz eingeführt hat, und welche mit Ideen eben so gewissenhaft umgeht, wie mit Menschen
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