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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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darüber gesetzt war, das Dargebrachte zu untersuchen; diese Abgaben sollten mit dem Vermögen eines jeden im bestimmten Verhältnisse seyn, und nach erfolgter Zusammenrechnung, fand sichs immer, daß dieses Verhältnis treu beobachtet worden war. Sollte man nicht glauben, es sey vom goldnen Zeitalter die Rede, wenn man anders in jenem Alter von Privatvermögen und öffentlichen Abgaben etwas wußte? Es ist bewundernswürdig, wie leicht Treue und Glauben alles macht, sowohl im öffentlichen Unterricht, als in der öffentlichen Verwaltung. Man sollte ihr wahrlich alle Ehre einräumen, die man der Geschicklichkeit zukommen läßt, denn, alles wohl berechnet und überlegt, versteht sich Treue und Glauben besser, selbst auf Weltgeschäfte, als die sogenannte Feinheit.
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Zwanzigstes Capitel. Das Fest zu Interlaken.
    Dem germanischen Character ist ein großer Theil der Tugenden zuzuschreiben, die man in der deutschen Schweiz antrift. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, daß sich in der Schweiz der Gemeingeist, der Patriotismus, die Volkskraft, die Einigung in Meinungen und Gesinnungen mehr entwickelt hat, als in Deutschland. Andererseits erregt aber die Kleinheit des Staats, und die Armuth des Landes den Aufflug des Genies auf keine Weise. In der Schweiz findet man weit weniger Gelehrte und Denker, als im nördlichen Deutschland, wo das lockerer gewordene politische Band der edeln Schwärmerei des Geistes, den dreisten Systemen des Genies, die der Wirklichkeit nicht fröhnen, freieren Aufschwung gewährt. Die Schweizer sind kein poetisches Volk, und es nimmt uns mit Recht Wunder, daß der entzückende Anblick ihres Landes ihre Einbildungskraft nicht höher entflammt. Dennoch ist ein religiöses und freies Volk immer für eine Art von Enthusiasmus empfänglich, der von den gröberen Beschäftigungen des Lebens nie ganz erstickt werden kann. Ließe sich im geringsten daran zweifeln, so würde jeder Zweifel vor dem Hirtenfeste verschwinden müssen, welches im vorigen Jahre, mitten unter den Seen, zum Andenken des Stifters von Bern gefeiert wurde.
    Die Stadt Bern verdient, mehr als je, die Achtung und die Aufmerksamkeit der Reisenden; es scheint, als habe sie seit ihren letzten Unglücksfällen ihre vorigen Tugenden mit neuer Kraft wieder erlangt, als habe sie, nach dem Verluste ihrer Schätze, ihre Wohlthätigkeit gegen Hülfsbedürftige verdoppelt. Ihre Armenanstalten sind vielleicht die vollkommensten in Europa; das Krankenhospital ist das schönste, das einzig prächtige Gebäude der Stadt. Ueber dem Haupteingange stehen die Worte: CHRISTO IN PAVPERIBVS (Christo in den Armen). Diese Inschrift ist die allererhabenste, die ich kenne. Hat es uns die christliche Religion nicht gelehrt, daß Christus auf die Welt gekommen sey für die, welche leiden? Und wer von uns, in diesem oder jenem Zeitraum seines Lebens, ist nicht einer von den Armen an Glück, an Hoffnung, einer von den Unglücklichen, denen man im Namen Gottes beistehen soll?
    Alles, in der Stadt und im Canton Bern, trägt das Gepräge einer ernsten ruhigen Ordnung, einer würdigen väterlichen Regierung. Aus jedem Gegenstand, der uns vor die Augen tritt, blickt Rechtlichkeit und Tugend hervor; mitten unter zweimalhunderttausend Menschen, die man Edelleute, Bürger oder Bauern nennt, die aber alle dem Vaterlande mit gleichem Sinne ergeben sind, glaubt man, wie im Schooße einer Familie zu leben.
    Um dem Feste zu Interlaken beizuwohnen, mußte ich mich auf einem der Seen einschiffen, in welchem sich die Schönheiten der Natur spiegeln, und die am Fuße der Alpen sich gesammelt zu haben scheinen, um ihre entzückenden Ansichten zu vervielfältigen. Ein stürmisches Wetter raubte uns die bestimmte Ansicht der Berge; mit den Wolken zusammenfließend, waren ihre Massen noch schauderhafter. Das Gewitter war im Anrücken, und obschon ein Gefühl des Schreckens sich meiner Seele bemeisterte, liebte ich dennoch den Blitzstrahl des Himmels, der den Hochmuth der Menschen zu Schanden macht. Wir ruhten einige Augenblicke in einer Art von Grotte aus, ehe wir es wagten, über einen Theil des Thuner Sees, der von unzugänglichen Felsen eingefaßt ist, zu setzen. An solcher Stelle war's, wo Wilhelm Tell den Schlünden trotzte, und sich an Klippen fest klammerte, um seinen Tyrannen zu entfliehen. Jetzt unterschieden wir im Hintergrunde den Berg, der den Namen der Jungfrau führt, weil noch kein Fuß eines Reisenden ihren Gipfel erklimmte; die Jungfrau ist nicht

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