Ueber Deutschland
einigen Stellen, die das angehängte Verzeichniß der Verbesserungen nachweist, daher rührt, weil die Uebersetzung ursprünglich, ehe der Druck des Originals beendiget war, um den deutschen Lesern den Genuß eines so geistreichen Werkes nicht lange vorzuenthalten, aus einer Abschrift hat gefertiget werden müssen, die von Auslassungen und Schreibfehlern wimmelte.
Möge, dieser kleinen Mängel ungeachtet, das Buch dennoch auch im deutschen Gewande, die günstige Aufnahme finden, deren es, wenigstens als Stoff zum Weiterdenken und als treuer Abdruck der interessantesten Individualität, gewiß im höchsten Grade würdig ist.
Zur Leipziger Ostermesse 1814.
Der Verleger.
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Erstes Capitel. Warum lassen die Franzosen der deutschen Literatur nicht Gerechtigkeit widerfahren?
Ich könnte auf diese Frage sehr leicht antworten: weil nur wenige Personen in Frankreich Deutsch verstehen, und die Schönheiten dieser Sprache, vorzüglich ihrer Dichtkunst, im Französischen nicht wiedergegeben werden können. Sprachen teutonischen Ursprungs sind leicht eine in die andere zu übersetzen, das gleiche gilt von den Töchtern der lateinischen; aber die letzteren sind zur Uebertragung der Poesie der germanischen Völker nicht geeignet. Eine für ein Instrument gesetzte Musik läßt sich auf einem Instrumente anderer Gattung nicht mit Erfolg geben. Außerdem besteht die deutsche Literatur in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit eigentlich nur seit vierzig bis fünfzig Jahren, und die Franzosen sind seit den letzten zwanzig so sehr durch politische Ereignisse eingenommen worden, daß sie alles Studium der Literatur bei Seite gesetzt haben.
Man würde jedoch die Frage nur höchst oberflächlich behandeln, wenn man bei der Behauptung stehen bliebe: die Franzosen seyen darum ungerecht gegen die deutsche Literatur, weil sie sie nicht kennen. Sie haben allerdings Vorurtheile gegen sie, aber diese Vorurtheile gründen sich auf das dunkle Gefühl der entschiedenen Ungleichheit in der Art zu sehen und zu empfinden, die zwischen beiden Nationen Statt findet.
In Deutschland giebt es über nichts feste Geschmacks-Regeln, alles ist da unabhängig, alles individuell. Man urtheilt über ein Werk immer nur nach dem Eindrucke, den es macht, niemals nach Regeln, weil es keine allgemein geltende giebt; jedem Autor steht es frei, sich eine neue Sphäre zu bilden. In Frankreich wollen die meisten Leser nie auf Kosten ihres literarischen Gewissens gerührt, nicht einmal unterhalten seyn, dort hat der Scrupel sein Reich. Ein deutscher Autor bildet sein Publikum, in Frankreich gebeut das Publikum den Autoren. Da in Frankreich die Zahl der Menschen von Geist (esprit) viel größer ist, als in Deutschland, so imponirt dort auch das Publikum weit mehr, während deutsche Schriftsteller, unendlich hoch über ihren Richtern stehend, sie beherrschen, statt von ihnen Gesetze zu empfangen. Daher entsteht es, daß diese Schriftsteller selten durch die Critik vervollkommnet werden; keine Ungeduld von Lesern oder Zuschauern nöthigt sie, schleppende Stellen aus ihren Werken zu streichen, und selten nur halten sie zur rechten Zeit inne, indem ein Autor fast nie seiner eigenen Gebilde überdrüssig wird, und folglich nur durch Andere erfahren kann, daß der Augenblick da sey, wo sie nicht mehr interessiren. Franzosen denken und leben nur in Andern, wenigstens in Beziehung der Eigenliebe, und man merkt es den meisten ihrer Werke an, daß ihr Hauptzweck nicht der Gegenstand ist, den sie abhandeln, sondern der Effect, den sie hervorbringen. Der französische Schriftsteller sieht sich immer in der Gesellschaft, selbst wenn er schreibt, und verliert nie die Critiken, die Spötteleien, den Modegeschmack, kurz die literarische Autorität, aus den Augen, unter welcher er in der oder jener Epoche lebt.
Die erste Bedingung des Schreibens ist, stark und lebhaft zu empfinden. Wer bei einem Andern studieren muß, was er versuchen dürfe und was ihm zu sagen erlaubt sey, der existirt, literarisch betrachtet, gar nicht. Allerdings haben unsre Schriftsteller von Genie (und welches Land zählt deren wohl mehr als Frankreich?) sich nur in Fesseln geschmiegt, die ihrer Eigenthümlichkeit keinen Eintrag thaten; aber man muß beide Länder in Massen und in der gegenwärtigen Zeit vergleichen, um einzusehn, worin die Schwierigkeit begründet sey, sich wechselseitig zu verstehen.
In Frankreich liest man selten ein Buch aus anderm Grunde, als um darüber zu sprechen; in
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