Ueber Deutschland
so hoch als der Montblanc, und gleichwohl zollt man ihr mehr Ehrfurcht, weil sie unzugänglich ist.
Wir kamen zu Unterseen an, und das Geräusch der Aar, die in Wasserfällen um diese kleine Stadt sich ergießt, stimmte die Seele zu schwärmerischen Eindrücken. Die große Menge der zuströmenden Fremden fand in den reinlichen, aber ländlichen Häusern der Gegend ihr Unterkommen. Es war pikant, junge elegante Pariser mit einemmale in die Schweizerthäler wie durch Zauber versetzt zu sehen; da hörten sie nichts, als das Geräusch der Waldströme, sahen nichts, als die himmelhohen Berge, und versuchten, ob sie an diesen einsamen Oertern Langeweile genug einsammlen könnten, um mit verdoppeltem Vergnügen wieder in die große Welt zurück zu eilen.
Es ist oft die Rede von einem Liede gewesen, welches mit Alp-Hörnern geblasen wird und auf die Schweizersoldaten einen so tiefen Eindruck macht, daß sie, sobald sie es hören, ihre Regimenter verlassen, und vom Heimweh ergriffen, in das Vaterland zurückkehren. Es läßt sich die Wirkung des Liedes denken, wenn es vom Wiederhall der Berge begleitet wird; aber das Lied ist auch nur gemacht, um fernher zu schallen; von nahem erregt es kein angenehmes Gefühl. Würde es von italienischen Stimmen gesungen, so könnte, dünkt mich, die Einbildungskraft dadurch völlig berauscht werden; vielleicht aber würde auch dieses Vergnügen auf Gedanken bringen, die mit der Einfalt des Landes im Gegensatz stünden. Man würde vielleicht Künste, Poesie, Liebe dorthin wünschen, und doch muß man es verstehen, sich daselbst an der Ruhe und dem Landleben genügen zu lassen.
Am Vorabende des Festes zündete man Feuer auf den Bergen an. Mit diesen Feuern gaben sich vorzeiten die Befreier der Schweiz das Wahrzeichen ihrer heiligen Verschwörung. Die Feuer auf den Berggipfeln glichen dem Monde, wenn er hinter Gebirgen hervortritt und sich zugleich brennend und friedlich zeigt. Es war, als hätten sich neue Gestirne eingefunden, um dem rührendsten Schauspiele, welches unsere Erde noch aufstellen kann, beizuwohnen. Eines dieser flammenden Zeichen schien an dem Himmel selbst zu glänzen und von dort die Ruinen des Schlosses Unspunnen zu überstrahlen, das Besitzthum Berthols, des Stifters von Bern, zu dessen Ehren und Andenken das Fest angestellt wurde. Tiefe Finsterniß umgab diesen lichtvollen Punkt, und die Berge, die während der Nacht großen Gespenstern glichen, standen da wie die Riesenschatten der Todten, die man feiern wollte.
Am Tage des Festes war das Wetter mild, aber nebelig; die Natur mußte mit der Rührung aller Herzen zusammenstimmen. Der zu den Spielen abgesteckte Bezirk ist mit Hügeln umgeben, die mit Bäumen bewachsen sind, und unabsehbare Berge umkränzen die Hügel. Alle Zuschauer, wohl sechstausend an der Zahl, setzten sich auf die Abhänge der Hügel, und die abwechselnden Farben ihrer Gewänder glichen von fern den bunten Blumenmatten in der Ebene. So lachend dieser das Fest verkündende Anblick war, so sehr schienen, wenn die Blicke höher stiegen, überragende Felsen, wie das Schicksal, die Menschen mitten im Vergnügen zu bedrohen. Giebt es aber unter allen Seelenfreuden eine, die rein genug sey, dem Geschicke selbst ungetrübt unter die Augen treten zu können, so war es jene.
Als alle Zuschauer versammelt und voll Erwartung waren, hörte man von fern den feierlichen Aufzug kommen, diesen wahrhaft feierlichen Aufzug, weil er dem heiligen Dienste der Vergangenheit gewidmet war. Er wurde von einer lieblichen Musik begleitet; an der Spitze der Landleute gingen ihre Obrigkeiten; die jungen Bäuerinnen waren im alten, mahlerischen Costum ihrer Cantone gekleidet; voraus getragen wurden die Hellebarden und Panniere jedes Thals, und die Träger waren Männer in grauen Haaren, völlig so gekleidet, wie man es vor fünfhundert Jahren, wie man es bei der Verschwörung auf dem Rütli war. Eine tiefe Rührung bemächtigte sich der Seele, beim Anblick dieser friedlichen Banner, von Greisen getragen. Die alte Zeit wurde durch Männer dargestellt, die in Betracht unserer so alt, in Betracht der Jahrhunderte so jung waren. Die ruhige Zuversicht, die aus ihnen strahlte, war die reine Folge ihrer Biederkeit. Mitten im frohen Feste füllten sich unsere Augen mit Thränen, wie an jenen zugleich glücklichen und gemüthtrüben Tagen, wo wir die Wiedergenesung derer feiern, die wir lieben.
Endlich begannen die Spiele, und die Männer der Gebirge und die Männer des Thals
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