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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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von literarischer Aristokratie zu fordern; die Würde der Personen und der historischen Erinnerungen, die sich daran knüpfen, können allein die Einbildungskraft zu der Höhe erheben, welche diese Gattung heischt.
    Ein altes Gedicht aus dem 13. Jahrhundert, das bereits von mir erwähnte Lied der Nibelungen , scheint zu seiner Zeit den ganzen Character einer wahren Epopöe gehabt zu haben. Die Thaten des Helden des Nordens, Siegfried, den ein burgundischer König tödten ließ, und die Rache, die die Seinigen deshalb in Attila's Lager nahmen, und die dem ersten Königreich Burgund ein Ende machte, sind der Inhalt dieses Gedichts. Ein Epos ist fast nie das Werk eines Menschen, Jahrhunderte selbst, wenn ich mich so ausdrücken darf, sind die Mitarbeiter daran: der Patriotismus, die Religion, kurz, der ganze Umfang der Existenz eines Volkes, können nur durch ungeheure Ereignisse in Bewegung gesetzt werden, die der Dichter nicht schafft, und die ihm durch die Nacht der Zeiten vergrößert erscheinen: die Personen des Epos müssen den ursprünglichen Character der Nation darstellen, und man muß in ihnen die unzerstörliche Form finden, aus welcher die ganze Geschichte derselben geflossen.
    Was es in Deutschland Schönes gab, das war das alte Ritterthum, seine Kraft, seine Treue, seine Gutmüthigkeit, und die Rauhigkeit des Nordens im Bunde mit erhabener Empfindsamkeit. Was ferner schön darin war, war das auf die scandinavische Mythologie gepfropfte Christenthum; diese wilde Ehre, die der Glauben reinigte und heiligte; diese Ehrfurcht vor den Frauen, die noch durch den allen Schwachen bewilligten Schutz an Rührung gewann; dieser Enthusiasmus des Todes; dieses kriegerische Paradies, in welchem die menschlichste Religion ihren Platz genommen. Dies sind die Elemente eines deutschen Epos, dieser muß der Genius sich bemeistern, und wie Medea durch ein neues Blut alte Erinnerungen wecken.
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Dreizehntes Capitel. Von der deutschen Poesie.
    Die kleinen zerstreuten deutschen Gedichte sind, wie mir scheint, merkwürdiger als die größern Werke der Dichtkunst: denn man findet, daß jenen besonders der Stempel der Originalität aufgedrückt ist; auch gehören die berühmtesten Verfasser derselben, Göthe, Schiller, Bürger u.s.w. zur modernen Schule, und diese allein hat einen wahrhaften Nationalcharacter. Göthe besitzt mehr Einbildungskraft, Schiller mehr Gefühl, und Bürger von ihnen allen die meiste Popularität.
    Bei der nachstehenden Prüfung einiger Gedichte dieser drei Männer, wird man sich einen besseren Begriff davon machen können, was sie von einander unterscheidet. Schiller hat zwar Aehnlichkeit mit dem französischen Geschmacke, allein man findet in seinen zerstreuten Gedichten doch nichts, was den zerstreuten Gedichten von Voltaire gleiche; diese Eleganz der Conversation und der Manieren selbst, in die Poesie verpflanzt, gehörte bloß Frankreich an, und in Ansehung der Grazie war Voltaire der erste französische Schriftsteller. Es würde interessant seyn, Schillers Stanzen über den Verlust der Jugend, die Ideale überschrieben, mit Voltaire's Stanzen zu vergleichen:
Si vous voule que j'aime encore, Rendez-moi l'age des amours.

    Man findet in dem französischen Dichter den Ausdruck einer liebenswürdigen Sehnsucht, deren Gegenstand die Freuden der Liebe und die Genüsse des Lebens sind; der deutsche Dichter beweint den Verlust der Begeisterung und der unschuldsvollen Reinheit der Ideen des ersten Lebensalters, und schmeichelt sich, seine sinkenden Tage noch durch Poesie und Denken zu verschönern. In Schillers Stanzen findet sich nicht jene leichte und glänzende Klarheit, welche eine für Jedermann faßliche Darstellungsart erlaubt, allein es lassen sich Tröstungen daraus schöpfen, welche auf das Innerste der Seele wirken. Schiller stellt die tiefsten Betrachtungen und Ideen immer unter edlen Bildern dar, er spricht zu dem Menschen wie die Natur selbst, denn die Natur ist Denker und Dichter zugleich. Um die Idee der Zeit zu mahlen, läßt sie die Fluthen eines unerschöpflichen Stromes vor unsern Augen vorüberfließen, und damit ihre ewige Jugend uns an unser flüchtiges Daseyn erinnere, bekleidet sie sich mit Blumen, welche verwelken müssen; sie läßt im Herbste die Blätter der Bäume fallen, welche der Frühling in vollestem Glanze sah: die Poesie soll der irdische Spiegel der Gottheit seyn, und in Farben, Tönen und Rhythmen alle Schönheiten des Universums

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