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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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reißenden Strom, der im Winter die sicherste Straße bietet. Die Haare der Jünglinge glänzen von Schneeflocken und Reif; die jungen Mädchen, die dem Schlitten folgen, bewaffnen ihre Füße mit Stahlflügeln, die sie im Nu in weite Ferne führen. Bardengesang begleitet diesen nordischen Tanz; die fröhliche Schaar fährt unter Ulmen hin, deren Blüthen Schneeflocken sind; der Krystall kracht unter ihren Schritten; ein Augenblick des Entsetzens stört das Fest; aber bald sind alle Geister neu belebt durch den Schrei der Freude, durch die Heftigkeit der Bewegung, die dem Blut die Wärme giebt, die ihr der äußere Frost raubt, und durch den Kampf mit dem Clima; man langt am Ziel des Laufes in einem großen erleuchteten Saal an, wo Kaminfeuer, Ball und Feste, leichte Freuden auf die der Strenge der Natur abgerungenen folgen lassen.
    Die Ode an Ebert, über ihre heimgegangenen Freunde, verdient auch angeführt zu werden. Klopstock ist minder glücklich, wenn er über Liebe schreibt. Er hat, wie Dorat, seine künftige Geliebte besungen, und dieser manierirte Gegenstand hat seine Muse übel begeistert: man hat noch nicht gelitten, wenn man mit der Empfindung spielen kann, und wenn ein sonst ernsthafter Dichter solch ein Spiel versucht, so hindert ein geheimer Zwang ihn stets, natürlich dabei zu erscheinen.
    Zu Klopstocks Schule kann man, nicht zwar als Schüler, sondern als Mitbrüder rechnen: den großen Haller, dessen Name nicht ohne Ehrfurcht genannt werden darf, Geßner und mehrere Andere, die sich durch Wahrheit der Empfindung dem Englischen Geiste näherten, aber noch nicht das wahrhaft charakteristische Gepräge der deutschen Literatur trugen. – Klopstocken selbst ist es nicht vollständig gelungen, Deutschland ein episches Gedicht zu schenken, das zugleich erhaben und volksmäßig wäre, wie ein Werk dieser Gattung es seyn muß. Voßens Uebersetzungen der Ilias und der Odyssee lehren den Homer so kennen, wie eine Durchzeichnung das Original wieder giebt: jedes Beiwort ist darin beibehalten, jedes Wort an die nämliche Stelle gesetzt; und der Eindruck des Ganzen ist ungemein groß, obgleich das Deutsche nicht all den Reiz haben kann, den das Griechische, des Südens schönste Sprache, hat. Die deutschen Schriftsteller, die mit Begierde nach jeder neuen Gattung fassen, versuchten hierauf Gedichte in homerischem Tone, und die Odyssee, die viel Einzelnheiten aus dem Privatleben darstellt, schien leichter nachzuahmen, als die Ilias.
    Der erste Versuch dieser Art war eine Idylle in drei Gesängen, Luise, von Voß selbst. Sie ist in Hexametern, die alle Welt bewundernswürdig findet; aber gerade der Prachtschritt des hexametrischen Verses scheint oft wenig in Einklang mit der außerordentlichen Einfalt des Gegenstandes. Ohne die reinen und frommen Gefühle, welche das ganze Gedicht athmet, würde man sich wenig für das sehr ruhige Ehebündniß der Tochter des ehrwürdigen Pfarrers von Grünau interessiren. Homer, der die passenden Beiwörter mit den Hauptwörtern treu zu verbinden pflegt, sagt immer von Minerven sprechend: Zeus blauäugige Tochter; so wiederholt auch Voß unaufhörlich: der ehrwürdige Pfarrer von Grünau. Homers Einfachheit thut aber nur darum eine so große Wirkung, weil sie einen edeln Gegensatz mit der imposanten Größe seines Helden und des ihn verfolgenden Schicksals bildet; wogegen, wenn von einem Landpfarrer und von seiner Gattin, einer sehr wackern Hausfrau, die ihre Tochter mit einem jungen Manne, den sie liebt, verheirathen, die Rede ist, diese Einfachheit wenig Verdienst hat. Man bewundert in Deutschland die Schilderungen in der Luise von der Art, den Caffee zu bereiten, die Pfeife anzuzünden u.s.w.; diese Einzelnheiten sind allerdings mit viel Talent und Wahrheit dargestellt, wie ein sauber gearbeitetes niederländisches Gemälde; aber es scheint mir, daß sich die täglichen Gewohnheiten des Lebens schwerer in unsre Gedichte wie in die der Alten einführen lassen: denn diese Gewohnheiten sind bei uns nicht poetisch, und unsre Civilisation hat einen etwas zu bürgerlichen Anstrich. Die Alten lebten immer in freier Luft, immer in Verhältnissen mit der Natur, ihre Art zu seyn war ländlich, nie gemein.
    Die Deutschen legen zu wenig Gewicht auf den Gegenstand eines Gedichts, und glauben, daß alles in der Art der Behandlung liege. Einmal aber läßt sich eine von der Poesie bestimmte Form fast nie in eine fremde Sprache übertragen, und eine europäische Reputation ist doch nicht zu

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