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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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zurückstrahlen.
    Schillers Gedicht von der Glocke , besteht aus zwei besondern Theilen; die wiederkehrenden Strophen drücken die Arbeiten beim Gießen der Glocke aus, und zwischen jeder dieser Strophen sind entzückend schöne Verse über die feierlichen Vorfälle oder die außerordentlichen Begebenheiten angebracht, welche durch die Glocken verkündigt werden: z. B. die Geburt, die Hochzeit, der Tod, eine Feuersbrunst, Aufruhr u. s. w. Man könnte wohl die erhabenen Gedanken, die schönen und rührenden Bilder, welche die großen Zeitabschnitte des menschlichen Lebens Schillern einflößten, ins Französische übertragen; allein es ist unmöglich, auf eine edle Art die Strophen nachzuahmen, welche aus kleinen Versen und Worten bestehen, deren seltsamer und schneller Tonfall die verdoppelten Schläge und die eiligen Schritte der Arbeiter hören läßt, welche den glühenden Fluß des Erzes leiten. Kann man durch eine Uebersetzung in Prosa einen Begriff von einem Gedichte dieser Art bekommen? Das hieße Musik lesen statt sie zu hören; und immer noch ist es leichter, sich durch Einbildungskraft die Wirkung der Instrumente vorzustellen, welche man kennt, als die Accorde und Contraste eines Rhythmus und einer Sprache, welche man nicht kennt. Bald macht die regelmäßige Kürze des Metrums die Thätigkeit der Arbeiter und die beschränkte aber unausgesetzte Energie fühlbar, welche bei den materiellen Beschäftigungen Statt findet, bald vernimmt man neben diesem rauhen und lauten Geräusch die ätherischen Gesänge des Enthusiasmus und der Melancholie.
    Die Originalität dieses Gedichts geht verloren, wenn man es trennt von dem Eindrucke, den ein geschickt gewähltes Versmaaß und die Reime hervorbringen, die sich wie verständige Echo's antworten, nach Maßgabe des Gedankens verändert; doch würden diese mahlerischen Wirkungen der Töne im Französischen äußerst gewagt seyn. Das Unedle bedroht uns unaufhörlich; wir haben nicht, wie fast alle andere Völker, zwei Sprachen, eine der Prosa und eine der Poesie. Es geht mit den Worten wie mit den Personen, da wo die Stände gemischt sind, ist Vertraulichkeit gefährlich.
    Ein anderes Gedicht von Schiller: Cassandra, ließe sich leichter in's Französische übersetzen, obgleich der poetische Ausdruck darin von großer Kühnheit ist. Cassandren ergreift in dem Augenblicke, wo das Hochzeitfest Achill's und der Polyxena beginnen soll, ein Vorgefühl des Unglücks, das aus diesem Feste hervorgehn wird. Sie schreitet traurig und in sich gekehrt in Apollons Hain umher, und klagt über ihre Kenntniß der Zukunft, die alle ihre Genüsse stört. Man sieht in diesem Gedicht das Unglück, das auf dem Menschen lastet, dem göttliche Voraussehung verliehen ist. Fühlen aber den Schmerz der Prophetin nicht alle, die mit einem hervorragenden Geiste einen leidenschaftlichen Character verbinden? Schiller hat hier unter einer ganz poetischen Form eine große moralische Idee ausgesprochen: daß nämlich das wahre Genie, das Genie der Empfindung, sich selbst zum Opfer wird, wenn es dies nicht von andern ist. Für Cassandra giebt es keine Ehe, nicht als ob sie unempfindlich oder verschmähet wäre, nein, ihr durchdringendes Gemüth schreitet in wenigen Augenblicken dem Leben wie dem Tode zuvor, und kann allein im Himmel Ruhe finden.
    Ich würde nicht fertig werden, wenn ich aller Gedichte von Schillern erwähnen wollte, welche neue Gedanken und neue Schönheiten enthalten. Er hat auf die Abreise der Griechen nach der Einnahme von Troja eine Hymne gemacht, welche man einem damaligen Dichter zuschreiben könnte, so treu ist der Character der Zeit darin beobachtet. Ich werde in Hinsicht der dramatischen Kunst das bewundernswürdige Talent der Deutschen untersuchen, sich in Jahrhunderte, Länder und Charactere zu versetzen, welche von den ihrigen ganz verschieden sind: eine herrliche Fähigkeit, ohne welche die Personen, die man auf die Bühne bringt, Marionetten gleichen, welche durch einen Faden bewegt werden, und die nur durch eine Stimme, nämlich die des Verfassers, sprechen. Schiller verdient vorzüglich als dramatischer Dichter Bewunderung; Göthe behauptet einzig den obersten Rang in der Kunst, Elegieen, Romanzen, Stanzen u. s. w. zu verfertigen.
    Göthe's zerstreute Gedichte haben ein von den Voltaire'schen sehr verschiedenes Verdienst. Der französische Dichter wußte den Geist der glänzendsten Gesellschaft in Verse zu bringen; der deutsche Dichter erweckt durch einige

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