Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
Vom Netzwerk:
die Knie anzuziehen, und ich dachte, es wäre mir gelungen, zusammengerollt wie ein kleines Baby auf dem Boden zu liegen. Es gab mir ein Gefühl der Sicherheit. In Wirklichkeit lag ich aber die ganze Zeit auf dem Rücken, Arme und Beine weit von mir gestreckt. Die Haltung, in der amerikanische Helden sterben. Doch ich war kein amerikanischer Held, und ich wollte auch nicht sterben.
    Die Augen hatte ich geöffnet. Der Himmel sah für mich rot aus. Ein dunkler Kreis kam näher und näher und wurde kleiner und kleiner. Ich meinte Stefs Gesicht zu sehen. Ich spürte nichts.
    Überhaupt nichts. Und das beunruhigte mich doch, denn ich war mir vollkommen darüber im Klaren, was soeben passiert war. Der runde Fleck, der über mit schwebte, war ganz bestimmt Stefs Gesicht. Er bewegte die Lippen, sagte etwas, das ich nicht verstand. Ich meinte etwas in seinen Augen zu sehen, das ich zuvor dort nicht gesehen hatte. Ich konnte es nicht näher beschreiben. Ich wusste nur, dass es keine Gleichgültigkeit war. Ich fragte mich, weshalb ich erwartete, Gleichgültigkeit in seinem Blick zu erkennen. Ich wusste, dass es einen Grund dafür gab, nur konnte ich mich nicht mehr daran erinnern.
    Katja lag mit dem Kopf und dem Oberkörper auf meiner Brust, ich konnte ihren Herzschlag spüren. Schwer und regelmäßig. Und da wurde mir das Nicht-Klopfen meines Herzens bewusst. Ich hoffte, dass der Rhythmus von Katjas Herz mein Herz wieder zum Schlagen bringen würde. Ich hatte keine Angst.
    Ich hätte mich nur noch gern von ihr verabschiedet. Ich hatte ihr noch sagen wollen, dass die Spitzengardinen bestimmt schön aussehen würden im Zimmer unserer Tochter.
    Als der Rettungsdienst Katja wegführte, wurde mein Körper schnell abgetastet und rau umplatziert. Ich spürte die glatten behandschuhten Finger auf meiner Brust. Sie jagten mir Stromschläge durch den Körper.
    Obwohl mein Herz wieder zu schlagen anfing, war mir furchtbar kalt.

Der Spaziergang
    Der kleine Junge war nicht mehr da.
    Er wusste es, ohne dass er den Kopf zu der Ecke hindrehen musste, in der der Junge für gewöhnlich stand.
    Also blieb er auf dem Rücken liegen und starrte weiter die Zimmerdecke an. Nicht mehr lange, und alle würden aufwachen und ihrer täglichen Routine nachgehen.
    Er atmete tief ein und schloss die Augen. Vielleicht gelang es ihm ja, noch ein Viertelstündchen zu schlafen. Doch wie immer war es auch heute vergebens. Er schwebte nur zwischen Traum und Wirklichkeit. Am Ende des Ganges erklang das Geräusch der Schlüssel, die gegen die Eisentüren schlugen. Dann nickte er doch kurz ein.
    Er träumte, er hätte die Schlüssel in der Hand und würde vor einer großen Pforte stehen. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er versuchte die Pforte zu öffnen, doch er fand den passenden Schlüssel nicht. Er wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Der letzte Schlüssel, den er nun in der Hand hielt, musste der richtige sein.
    Doch als er ihn ins Schlüsselloch stecken wollte, war es verschwunden. Er griff zur Klinke, doch auch dort war nichts. Erneut griff er danach, doch die Stelle, an der eigentlich die Klinke hätte sein müssen, war glatt und eben. Er legte eine Hand auf die Pforte und versuchte mehrmals, sie aufzudrücken. Die Schlüssel schlugen rasselnd gegen die Eisentür, doch nirgendwo gab es ein Schlüsselloch. Das metallene Geräusch der Schlüssel wurde lauter und machte ihn nervös, er war fest davon überzeugt, dass sie ihn gehört hatten. Ein paar Sekunden hielt er den Schlüsselbund fest umklammert in der Hand und versuchte, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Er sah nur noch verschwommen.
    Um den Blick zu schärfen, klimperte er ein paarmal mit den Augenlidern, doch die Messingplatte mit dem verschwundenen Schlüsselloch, in die er verzweifelt den Schlüssel hineinzustecken versuchte, blieb weiterhin verschwommen.
    Es kostete ihn viel Mühe, die Augen ganz zu öffnen. Noch immer sah er unscharf.
    Wieder versuchte er es. Irgendetwas verschleierte seinen Blick. Verbissen stocherte er mit dem Schlüssel auf der Messingplatte herum. Vielleicht fand er das Schlüsselloch zufällig. Im Glauben, es könne hilfreich sein, sich ganz auf seinen Tastsinn zu verlassen, es könne von Vorteil sein, wenn er nicht sah, was er tat, schloss er die Augen. Es gab keine passende Öffnung für den Schlüssel, den er in den Händen hielt, das hatte er gesehen, daran konnte er nicht mehr zweifeln. Nichts gab es. Seine Lider wurden schwer. Lange hielt er sie

Weitere Kostenlose Bücher