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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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Erst jetzt merkte Borisch, daß er einen Hund an der Leine hatte, einen Foxterrier oder etwas in der Art, der gerade mit eisigerSchnauze ihre Kniekehlen beschnüffelte. Irritiert machte sie einen Schritt zurück und nahm, ohne etwas zu sagen, das Taschentuch. Nicht weil sie selber keines gehabt hätte, aber auch zu Hause schneuzte sie sich am liebsten in eines von Edvards oft gewaschenen stoffernen. Es gab nichts Beruhigenderes für sie als so ein riesiges mürbes Herrentaschentuch.
    »Kommen Sie.« Der Kavalier lüpfte seinen dunkelgrauen Hut und machte eine kleine Verbeugung. »Alajos Arató«, stellte er sich vor, und auch Borisch stammelte ihren Namen.
    »Kommen Sie« – Herr Arató berührte ihren Arm –, »es windet schrecklich. Wir sollten uns lieber wo hineinsetzen.« Nicht zu fassen, dachte Borisch, hat denn der alte Abstauber nichts anderes zu tun, als eine heulende Endvierzigerin anzusprechen? Aber sie folgte ihm. Der Hund schien schon zu wissen, wohin es ging. Vielleicht hatte dieser Arató bereits einen Stammplatz für seine augennassen Fundstücke.
    Vor einem kleinen Restaurant in der Országház utca blieben Herr und Hund stehen. »Haben Sie schon gegessen?« fragte der Herr freundlich, während der Hund mit dem Schwanz wedelte und dabei speichelte.
    »Gefrühstückt. Im Gerbeaud«, fügte Borisch trotzig hinzu.
    »Das hab ich mir gleich gedacht, aber es ist jetzt halb zwei.«
    Wie kam er überhaupt dazu, sich etwas zu ihr zu denken? War er womöglich auf Ehemalige, denen das Herz beim Wiedersehen bricht, spezialisiert?
    »Wenn Sie meinen«, sagte Borisch gegen ihre Absicht.
    Das Lokal war noch kleiner, als es von außen gewirkt hatte, und mit Jagdtrophäen vollgestopft. Sogar die Mäntel wurden an ein Geweih gehängt. In der Wärme mußte sie sich gleich noch einmal schneuzen. Herr Arató besaß sogar ein zweites Taschentuch, mit dem er sich nun die Brille putzte. Aber daswar ihr auch schon egal, und während sie den gespickten Rehschlögel mit Nudeln und Preiselbeeren aßen, erzählte Borisch ihm ihr Leben.
    »Schauen Sie«, sagte Herr Arató, als sie beim Kaffee waren. »Sie werden lachen, aber ich habe vierzig Jahre in Amerika gelebt, und dann bin ich plötzlich nach Hause gefahren. Ich habe etwas Vermögen, viel brauche ich nicht, und man kann jetzt hier ganz gut leben. Diesen Mantel da« – er deutete auf sein blaues Stück – »habe ich schon vor Jahren in Wien gekauft, bei der Rückreise. Und, sieht man es ihm an?«
    Borisch schüttelte anerkennend den Kopf.
    »Eben.« Er wischte etwas von seinem Rockkragen. Der Hund lag unter dem Tisch und stöhnte zufrieden. »Sie werden auch noch einmal ganz zurückkommen, und dann gehen wir miteinander spazieren.«
    »Nein, nein«, beeilte sich Borisch zu sagen, »wo denken Sie hin?!«
    »Auf irgendeine Weise kriechen wir alle in den Schoß zurück, der uns geboren hat.« Herr Arató strich sich beim Lächeln über die hageren Backenknochen, und sie wich seinem Blick aus. »Mein Leben liegt hinter mir«, sagte er, »ich könnte es Ihnen erzählen. Aber Amerika ist so weit weg, es würde Ihnen gar nichts sagen. Hier habe ich die Kaffeehäuser, den Hund, die vielen Wege durch die Stadt, die Donau, die Burg, und wenn ich Lust habe, gehe ich in die Oper.«
    »Das ist eine Lösung«, sagte Borisch, »ja, das könnte man als Lösung bezeichnen.« Und damit war das Gespräch gezwungenermaßen seiner Fortsetzungsmöglichkeit beraubt.
    Herr Arató nickte, und sie wußte nicht, wie sie ihm sein Taschentuch zurückgeben sollte. »Behalten Sie es«, sagte er, als er merkte, wie sie es unentschlossen in der Hand zu knüllenbegann. Und, mit der Geste eines alten Magnaten: »Ad memoriam!«
    »Das ausgesprochen Komische ist«, behauptet Borisch, als sie Mela die ganze Geschichte erzählt, »daß ich doch gern gewußt hätte, was er die ganzen vierzig Jahre in Amerika gemacht hat. Aber vielleicht hätte er mich nur angeflunkert. Er wirkte jedenfalls so, als hätten ihm all diese Jahre nichts anhaben können, und er sprach auch nicht mit dem leisesten Akzent.«
    »Vielleicht war er gar nicht in Amerika.« Mela schneuzt sich vernehmlich in ein Tempo-Taschentuch. »Und er hat dir das alles nur erzählt, um dich zu trösten.«
    »Mich trösten?« Borisch hat offenbar schon wieder vergessen, daß sie in sein Taschentuch geweint hat.
    »Oder er wollte dir imponieren«, lenkt Mela ein.
    »Möglicherweise.« Borisch versinkt in Gedanken. »Wenn der Tod ein Ungar wäre, würde

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