Ueber die Verhaeltnisse
schon gestellt. Und dann haben sie mir den Prozeß gemacht und mich verurteilt, zu zwei Jahren. Weitergabe von Informationen.« Rózsika lachte, bis sie hustete. »Ich saß also zum zweiten Mal in meinem Leben. Als ich rauskam, war der Mann wie vom Erdboden verschwunden. Hatte wohl einen zu großen Schreck bekommen. Spionage. Zum Schreien. Wenn wirklich etwas dahintergewesen wäre, säße ich heute noch. Aber angeblich hatte mich jemand schwer belastet. ›Sie waren ungeschickt, Rózsika. Sie haben sich in was hineinziehen lassen.‹ Na ja, so kann man es auch nennen.«
»Und jetzt?« Borisch wußte nicht, inwieweit Rózsika sich überhaupt würde trösten lassen.
»Jetzt geht es mir gut. Ich arbeite wieder. Dafür wird gesorgt. Nicht wie bei euch. Bei uns kriegt man danach wieder einen ordentlichen Posten, wenn auch in nicht ganz so verantwortungsvoller Position. Wir dürfen uns wieder nützlich machen, vor allem, wenn wir unsere Ungeschicklichkeit einsehen. Es geht mir also gut. Ich habe alles, was ich brauche, Arbeit, eine Wohnung, ein kleines Auto, einen Fernseher, Mensch, was willst du mehr? Wenn ich wollte, könnte ich sogarwieder reisen.« Rózsika drehte ihr leeres Glas in den Händen. »Und am Wochenende bin ich frei.« Sie goß sich Wodka mit einem Schuß Zitrone nach. »Da sitze ich dann zu Hause, mache es mir bequem und denke über mein Leben nach.«
Borisch suchte lange nach einem geeigneten Wort, aber es fiel ihr keines ein.
»Und du glaubst wohl«, fuhr Rózsika fort, »du hast das große Los gezogen? Aber ich sage dir, im Endeffekt kommt alles auf das gleiche heraus. Und wenn du in den Spiegel schaust, weißt du, es ist nur mehr eine Frage von Jahren. Und die kriegt man schon irgendwie hin. Oder?«
»Du trinkst«, sagte Borisch, »das macht es nicht unbedingt besser.«
»Gelegentlich. Genauer gesagt, am Wochenende.«
»Allein?«
»Manchmal lade ich mir Freunde dazu ein, Freunde von damals. Aber die, die es überstanden haben, wollen nichts mehr davon hören. Auch sie sagen, du warst ungeschickt, Rózsika, vergiß es. Und die, die nichts zu überstehen hatten, weil sie noch zu jung oder zu dumm waren, die haben erst recht andere Sorgen. Es geht ihnen allen viel besser jetzt. Damit erwacht der Ehrgeiz, die Lust am Risiko. Keiner weiß, wie lange das noch so geht, aber die meisten wollen es ausprobieren. Ich will nichts mehr ausprobieren. Das einzige, was mich noch interessiert …« Rózsika lachte, beinahe befreit. »Das einzige, was mich noch interessiert, ist die Literatur. Es gibt ein paar gute Bücher in diesem Land.« Rózsika deutete auf einen Stapel, der neben der Couch auf dem Boden lag. »Man verkauft sie sogar«, fügte sie lächelnd hinzu, und gehorsam nahm Borisch eins davon auf.
Irgendwann kamen sie dann doch auf die alten gemeinsamenZeiten zu sprechen. Auf die Schule und die ersten Flirts, und wie sie sich ihr Leben trotz all der Schwierigkeiten vorgestellt hatten. Aber die frühere Vertrautheit wollte sich nicht mehr ganz einstellen. Wie ein dicker Klumpen lagen die dreißig Jahre zwischen ihnen, ein Klumpen, vor dessen Geruch sie sich beide ein wenig ekelten, und so vermieden sie es, ihn weiterzuuntersuchen.
Gegen Mitternacht rief Borisch sich selber ein Taxi. Rózsika war eingeschlafen, und bevor Borisch endgültig ging, leerte sie noch die Aschenbecher und deckte Rózsika zu. Auch ihr war der Kopf schwer vom Wodka, und sie mußte plötzlich in großer Liebe an Edvard denken.
»Am nächsten Tag«, sagt Borisch, als sie es Mela erzählt, »bin ich erst spät zum Frühstück runtergegangen. Die paar Stunden, die mir bis zur Abfahrt des Zugs noch blieben, habe ich in der Innenstadt verbracht. Eine Art Kaufrausch hat mich überkommen, und ich nahm, was ich kriegen konnte, Bücher, Schallplatten, bestickte Tischdecken, sogar einen Pferdehirten aus Herend-Porzellan und zu allem Überfluß auch noch ein Paar Stiefel. So als könnte ich mir damit tatsächlich ein Stück mitnehmen, ein winziges Stück von dem Land, das mir noch immer am Herzen nagt.«
Dem jungen Mann sind die ersten grauen Haare gewachsen, und als Mela ihm bei einem der selten gewordenen Besuche scherzhaft eines ausreißt, schnieft er nur melancholisch. Er wird immer mehr zum verlängerten Arm des Chefs, und damit wächst sein Einfluß auf die linke und die rechte Hand, aber auch seine Kompetenz. Er spricht von einem Schock, von einem heilsamen, von einer Klimaänderung, einer wohltuenden, und von der Erweiterung
Weitere Kostenlose Bücher