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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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auf die Straße hinaus, aber Géza Molnár hielt sie fest. Und dann kamen auch schon die Panzer. Als sie die Deckung wieder verlassen konnten, sahen sie, wie das Rote Kreuz die Verwundeten einsammelte, aber Rózsika war nicht darunter, und sie waren überzeugt, daß sie tot sei. Das hatte den letzten Ausschlag für Borischs Flucht in den Westen gegeben.
    Zitternd nahm sie den Hörer auf und wählte. »Rózsika?« fragte sie, als jemand nach langem Läuten abhob.
    »Ja«, kam eine Stimme von sehr weit weg. Borisch nannte ihren Namen. »Kannst du dich noch an mich erinnern?«
    Eine Weile blieb es still. »Ach, du bist es.« Wieder Stille. »Ich dachte, du seist tot.«
    »Das dachte ich auch.«
    »Mach keine Witze. Wie kannst du denken, daß du tot bist?«
    »Von dir.« Borisch verschluckte sich fast vor Aufregung.
    »Überlaß das Denken den Pferden. Von wo rufst du an?«
    Borisch nannte ihr Hotel.
    »Du bist in Budapest? Warum sagst du das nicht gleich?«
    »Entschuldige schon, aber …« Borischs Herzschlag wurde langsam wieder normal.
    »Los. Setz dich in ein Taxi und komm her.« Borisch schrieb die Adresse aus dem Telefonbuch ab, hängte sich den Mantel um und ließ sich vom Portier ein Taxi bestellen. Erst als sie im Wagen saß, fiel ihr ein, daß sie nicht einmal ein Geschenk für Rózsika hatte. Aber vielleicht konnte sie ihr anbieten, bei ihr zu wohnen, wenn sie einmal Lust hätte, nach Wien zu kommen.
    Es war ein Neubau. Schon im Gang schlug ihr die trockene, kratzige überheizte Luft entgegen und verlegte ihr die Nase. Rózsika wohnte im sechsten Stock, und der Lift war so eng, daß Borisch sich gar nicht vorstellen konnte, wie die erlaubten vier Personen darin Platz finden sollten.
    Es schien sich um lauter Garçonnieren zu handeln, so dicht folgte Tür auf Tür in dem von Kunststoffröhren beleuchteten Flur.
    Rózsika öffnete ihr nach zweimaligem Läuten. »Servus.« Sie fielen sich um den Hals und hielten sich lange umarmt.
    »Zwei Auferstandene«, meinte Rózsika mit einer Stimme wie aus der Unterwelt.
    »Das ist mein Reich.« Rózsika sagte es spöttisch, indem sieauf die 48m 2 deutete, in die sich Bad, Küche, Wohnraum und Schlafplatz zu teilen hatten. »Möchtest du was trinken auf den Schreck?« Eine halbleere Wodkaflasche stand neben einem vollen Glas und einer Zitronenpresse.
    »Gern.« Borisch setzte sich in den einzigen vorhandenen Lehnstuhl, während Rózsika sie zuerst mit einem Glas versorgte und sich dann auf die Couch fallen ließ.
    Borisch konnte den Blick nicht von ihr wenden. Das sollte jene Rózsika Mátray sein, mit der sie zur Schule gegangen war? Nichts erinnerte sie daran außer den Augen und der Stimme, aber selbst die war tiefer geworden.
    »Siehst gut aus«, sagte Rózsika. »Wir sind natürlich beide nicht jünger geworden. Aber in Anbetracht dessen schaust du sehr passabel aus. Es geht dir wohl gut?«
    »Na ja«, so leicht ließ sich Borisch ihr Schicksal nicht abkaufen, »zur Zeit kann ich nicht klagen.« Und sie gab Rózsika einen gerafften Überblick über die letzten dreißig Jahre aus ihrer Sicht. Rózsika schien schon vorher getrunken zu haben. Nicht daß man es ihr sofort anmerkte, aber ihre Bewegungen waren merkwürdig eckig, und ihr Gesicht hatte einen starren, etwas gedunsenen Ausdruck.
    »Und du? Wie bist du damals davongekommen?« Borisch sah Rózsika noch immer ein wenig fassungslos ins Gesicht.
    »Frag mich nicht. Ich habe längst versucht, es zu vergessen. Später wurde ich entlassen und konnte sogar studieren. Und einen guten Posten habe ich auch bekommen. Natürlich wurde es erst mit der Zeit ein guter Posten. Ich war in der Rechtsschutzabteilung für ungarische Patente im Ausland. Ab einem gewissen Dienstgrad haben sie mich sogar reisen lassen. Übrigens war ich damals mit Zoli zusammen, Zoli Erdélyi, du mußt ihn noch gekannt haben.«
    Borisch nickte, obwohl sie sich nur ganz dunkel an diesen Zoli erinnern konnte, aber sie wollte Rózsika nicht unterbrechen.
    »Aber Zoli war eine Null, verstehst du? Ein Nichts und ein Niemand, und das ist er auch geblieben, nachdem ich ihn rausgeworfen habe. Danach habe ich jahrelang allein gelebt. Auf einer meiner Dienstreisen lernte ich einen Deutschen kennen. Das war’s. Er wollte mich heiraten, und ich sollte zu ihm nach Berlin ziehen. Aber ich konnte meine Arbeit nicht von einem Tag auf den anderen im Stich lassen. Schließlich wollte ich, daß alles seinen Weg geht, legal, verstehst du? Meinen Ausreiseantrag hatte ich

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