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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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Der Chef schaut auf die Uhr. »Aber nur ein kleines.« Mela bemüht sich selber in den Schankraum. Und während sie den goldenen Strahl aus dem Zapfhahn läßt, entspannen sich ihre inneren Organe langsam zu einem unergründlichen Lächeln.

»Ungarn war nicht – es wird sein müssen«, liest Borisch ihrem Mann und Archiv-Lindwurm, dem gebürtigen Polen Edvard, aus einem der Bücher vor, die die Schulfreundin Rózsika Mátray ihr empfohlen hat. Fasziniert und ein wenig in die Irre geführt von dem Titel »Kleine ungarische Pornographie«, hat sie es als erstes aus dem mitgebrachten Stoß gezogen und mehr an Schweinerei darin entdeckt, als zu erwarten war. »Ganz schön papriziert, dieser Grünschnabel.« Sie pfeift anerkennend und erzählt mit grimmem Lachen die vielen Rákosi-Anekdoten weiter, die sich in einigem mit den ehemaligen Stalin-Witzen decken. Auch Edvard genießt den naivheimtückischen Ton und die raffiniert-spielerische Art, in der diese Geschichtchen sich ihr Gift melken lassen.
    »Papriziert, aber auch kompliziert«, und Borisch droht dem fernen Autor mit ihrer Lesebrille. »Könnte der junge Mann das nicht einfacher sagen? Ich meine, die Anekdoten sind ja zu verstehen, aber dann schlüpft er auch noch in die Rolle des Seeleningenieurs.«
    Edvard lächelt ein stilles Gelehrtenlächeln, das nicht frei ist von einer gewissen Niedertracht, und trocknet mit denselben Händen, mit denen er seine Gedichte geschrieben hat, seine in einem Lavoir mit heißem Wasser geweicht habenden Füße. Damit die Temperatur in seinem Körper nicht absinkt, gießt er einen Schluck Wodka zum Mund hinein, bevor er seine nungut durchbluteten Extremitäten zurück in die Socken zwängt. Das Lavoir schiebt er unter die Bank, um nicht undanks hineinzutreten, während er mit den Zehen nach seinen Hausschuhen angelt.
    »Warum sollte er?« fragt er unvermittelt und sich streckend.
    »Sollte was?« Borisch ist schon weiter im Text, die Frage kommt wie aus dem Hinterhalt, in den sich ein nicht sofort Ortbares im nachhinein gelegentlich verwandelt.
    »Jede Vereinfachung ist eine Amputation. Sie beschneidet die Vielschichtigkeit, in der allein sich Verhältnisse angemessen darstellen lassen.«
    Borisch nimmt die Brille ab und legt sie als Lesezeichen in ihr zuklappendes Buch. »Leer dein Waschwasser weg«, sagt sie, ohne auf die kleine Finte, nämlich daß dieses sich bereits unter der Bank befindet, weiter einzugehen.
    »Dieser Satz zum Beispiel«, Edvard bückt sich stöhnend nach dem Lavoir, »untermauert eindeutig meine These. Auf die Einfachheit eines Befehls reduziert, läßt er zwar an seinem Auftrag keinen Zweifel, doch fehlen ihm sämtliche Zwischentöne, die zur Erhellung der Situation, in der er gesprochen wird, beitragen könnten.«
    Edvard hat sich wieder hingesetzt, und Borisch schaut ihn, innerlich ausholend, an. »Was für Zwischentöne?«
    »Zum Beispiel der Hinweis auf die Tatsache, daß ich hundemüde und mit beinah abgefrorenen Zehen aus dem Archiv nach Hause gekommen bin und auf dein Anraten dieses Fußbad genommen habe. Ich sage das mit der Betonung auf Anraten, da mehr an Hilfeleistung von deiner Seite nicht stattgefunden hat. Ich mußte mir sowohl das heiße Wasser als auch Handtuch und Seife selber holen. Ist nun die Situation einmalso weit deutlich gemacht, erhebt sich – aus der Sache selbst heraus – bereits die Frage nach der Berechtigung dieses deines einfachen Satzes. Da du nämlich so wenig zur Durchführung deines Vorschlags beigetragen hast, läge nun nach all den hinzugefügten Informationen der Schluß nahe, daß die Situation nicht nur nicht getroffen wurde, sondern daß eine Korrektur nötig ist, dahin gehend, daß du, den laut gewordenen Zwischentönen Rechnung tragend, dich selbst dazu aufrafftest, dieses Lavoir hinauszutragen und seinen Inhalt in die Klosettmuschel zu schütten, um nicht – und du kannst nicht abstreiten, daß dein vereinfachter Satz diese Wirkung hat – den Eindruck zu erwecken, du seist zu bequem, an der Ausführung eines von dir gemachten Vorschlags zumindest mit Hand anzulegen.«
    »Was du nicht sagst!« Und obwohl Borisch sitzt, stemmt sie die Hände in die Hüften. »Du vergißt dabei nur eines, mein Lieber, die Rolle des treffenden Worts, und das heißt in diesem Fall ›raus!‹.«
    Nicht daß Edvard sich geschlagen gäbe, aber in mehr als fünfundzwanzigjähriger Kenntnis seiner zum Aufbegehren neigenden ungarischen Hälfte zieht er es vor, das Lavoir, an dem sich

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