Ueber die Wupper
Christine.«
»Wer ist
Christine?«
»Tanjas beste
Freundin. Hans hat da am Samstag angerufen. Sie hat gesagt, sie
weiß nicht, wo Tanja ist. Aber vielleicht wollte sie es ihm
nur nicht sagen.«
»Weißt du,
wo Christine wohnt?« Max saß jetzt auf
Nadeln.
»In der
Freiheitsstraße.« Sonja warf die Kippe aus dem Fenster
und wandte sich den Töpfen zu. Sie schob aber lediglich den
einen nach hinten und zog den anderen nach vorn. »In
Remscheid. Wir haben bis vor einem Jahr auch da gewohnt. Tanja und
Christine waren in derselben
Klasse.«
»Weißt du
auch die Hausnummer?«
»Ich glaub,
dreiundachtzig. Auf jeden Fall schräg gegenüber vom
Hallenbad. Sie heißt Müller.«
»Na,
prima.«
»Falls sie nicht
zu Hause ist, fragst du am besten im Salon Klammann in der
Blumenstraße nach. Da arbeitet sie
nämlich.«
»Fällt dir
sonst noch etwas ein, das mir helfen könnte?«
Sonja überlegte
kurz, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein,
nichts.«
Max nahm den
Kugelschreiber aus seiner Jacke und riß die Ecke einer
OBI-Wurfsendung ab, die auf dem Tisch lag. »Ich laß dir
meine Adresse und Telefonnummer da. Für alle
Fälle.«
Sonja nahm den
Papierfetzen entgegen und steckte ihn in ihre Jeans.
»Danke«,
sagte Max. »Du hast mir sehr geholfen.«
»Ich …
«
»Ja?«
Sonjas Stimme war kaum
mehr als ein Hauch. »Ich wollte dir nur sagen: Ich glaube
nicht, daß du sie umgebracht hast.«
»Danke.«
Max nickte ihr zu. »Mach's gut.«
Die Frau im Wohnzimmer
schnarchte noch immer. Max zog die Wohnungstür auf.
Auf der Fußmatte
stand ein Mann. Einen knappen Kopf kleiner als Max, in einem
ölverschmierten Blaumann mit Aral-Aufnäher. Schwarzes
drahtiges Haar, durchsetzt von grauen Sprenkeln. Aggressives
Unverständnis im Blick.
»Herr
Werner?« fragte Max.
Der Mann sagte nichts,
starrte nur. Bis ein Zucken in seinen Augenwinkeln signalisierte,
daß der Groschen gefallen war.
»Du dreckiger
Mörder, du!« schrie er und zog die Oberlippe zurück
wie ein tollwütiger Dobermann. Ein Korn trinkender Dobermann,
dem Atem nach zu urteilen. »Dich mach ich
kaputt!«
Der Mann riß die
Fäuste hoch. Max warf die Tür vor Dobermanns Nase zu und
stolperte rückwärts durch die Flaschensammlung. Um das
Gleichgewicht zu halten, mußte er sich an den Mänteln
festklammern, die an der Garderobe hingen.
Dumpfe Schläge
bearbeiteten die Tür, begleitet von wilden Flüchen und
Drohungen. Ein Schlüsselbund klirrte auf Fliesen.
»Los, über
den Balkon«, sagte Sonja. »Der schlägt dich tot,
wenn er dich kriegt.«
Sie zog Max am
Ärmel quer durchs Wohnzimmer. Die Frau auf dem Sofa schlug die
Augen auf und grunzte. Sonja rüttelte an der Balkontür.
Sie klemmte. Im Flur wurde ein Schlüssel ins Schloß
geschoben. Die Balkontür flog auf und knallte gegen den
Schrank.
»Es ist nicht
tief.« Sonja schob Max über die Schwelle. »Und
unten ist Rasen.«
Max linste über
das Geländer. Vier, vielleicht fünf Meter.
»Nun mach
schon!« rief Sonja.
Dem Lärm nach
bahnte sich ihr rasender Vater gerade den Weg durch das
Flaschenchaos im Flur. Max verscheuchte alle Gedanken an gebrochene
Knöchel und ähnliches und flankte über das
Geländer.
Der Flug war kurz.
Dafür war die Landung um so härter. Max' Knie wurden
schmerzhaft zusammengestaucht. Er rollte ab und hatte Glück,
daß er den geschienten Finger vor Bodenkontakt bewahren
konnte.
Max kam auf die Beine
und humpelte, so schnell es ging, um die Hausecke. Weg von dem
Gebrüll, das auf dem Balkon anhob, und ab in den Sattel der
Solex.
Und jetzt?
In Richtung Stadt war
die Straße zu steil. Da würde ihn ein Faultier auf
Valium einholen, erst recht der tobende Werner. Also stieß er
sich ein paar Mal kräftig mit den Beinen ab und ließ die
Solex den Berg runterrollen. Beim zweiten Versuch zündete der
Motor, und Max schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß
die Pastor-Löh-Straße keine Sackgasse war.
Er wurde
erhört.
9
Ein Platzregen
überraschte Max auf der kurvenreichen Abfahrt ins Eschbachtal.
Unter der Höllenbachtalbrücke wartete er das Ende des
Gusses ab. In einem Baum in der Nähe entdeckte er zwei
Drosseln. Krammetsvögel. Vögel, die einer bergischen
Legende zufolge zwei Wegelagerer und Mörder an den Galgen
gebracht hatten. Das war im sechzehnten Jahrhundert gewesen. Ob das
heute auch noch so
war?
Als nur noch einzelne
Tropfen fielen, fuhr Max weiter. Zwanzig Minuten später befand
er sich im Zentrum der alten
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