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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sondern erregend, übermütig und ausgefl ippt. Es steckt etwas Gutes in McLuhan, wie in den Haschrauchern und den Hippies. Warten wir ab, was sie noch zustande bringen.
    Ist McLuhan wissenschaftlich ergiebig? Schwierige Frage, denn wir werden uns hüten, den Verfasser franziskanischer Hymnen an Schwester Elektrizität im Licht des akademischen Biedersinns zu verdammen. Was steckt an Fruchtbarem in dieser permanenten intellektuellen Erektion?
    McLuhan beschränkt sich nicht auf Versicherungen vom Typus
    »Freitag der dreizehnte: Unglück«, er stellt auch Behauptungen auf, die zwar ebenfalls kabbalistisch sind, aber zum Typus »Eichen: weichen, Buchen: suchen« gehören; in welchem Falle wir nicht wie im ersten eine völlig unbegründete Gleichsetzung haben, sondern eine gewisse (wenn auch nur um des Reimes willen) strukturelle Homologie. Und die Suche nach strukturellen Homologien ängstigt nur die beschränkten Geister und Fachidioten, die nicht über ihren Tellerrand blicken können. Wenn Erwin Panofsky eine strukturelle Homologie zwischen dem Grundriß der gotischen Kathedrale und den Formen der mittelalterlichen theologischen Traktate entdeckt, sucht er zwei Operationsweisen zu vergleichen, die relationale Systeme ins Leben rufen, deren Strukturen sich auf ein und dasselbe formale Modell zurückführen lassen. Und wenn McLuhan eine Beziehung zwischen dem Verschwinden der gutenbergischen Mentalität und gewisser linear-hierarchischer Konzeptionsweisen der Organisationsstrukturen sieht, bewegt er sich zweifellos auf der gleichen Höhe heuristischer Inspiration.
    Doch wenn er hinzufügt, derselbe Prozeß habe zum Verschwinden der Aufmärsche des Hotelpersonals bei einer Ankunft des Gastes geführt, betritt er das Reich des Unüberprüfbaren, und wenn er beim Verschwinden der Nylonstrumpfnähte landet, ist er im Reich des Unwägbaren. Wenn er dann gar noch zynisch mit den gängigen Meinungen spielt, wohl wissend, daß sie falsch sind, wird die Sache ärgerlich. Denn McLuhan weiß, daß Elektronenrechner sehr viele Operationen in der Instantangeschwindigkeit einer Sekunde verrichten können, aber er weiß auch, daß diese Tatsache ihn nicht berechtigt zu sagen: »Die instantane Synchronisierung zahlreicher Operationen bedeutet das Ende des alten mechanischen Schemas der Reihung von Operationen in linearer Abfolge.«49 Gerade die Programmierung eines Elektronenrechners besteht schließlich in der Reihung linearer Abfolgen logischer, in binäre Signale zerlegter Operationen. Wenn etwas in unserer modernen Welt sehr wenig stammessippenmäßig, ganzheitlich, polyzentrisch, halluzinatorisch und nicht-gutenbergisch ist, dann gerade die Arbeit des Programmierers. Es geht nicht an, sich die Naivität des durchschnittlichen »Humanisten« zunutze zu machen, der Elektronenrechner nur aus Science-fi ction-Romanen kennt. Genau in dem Maße, wie uns McLuhans Diskurs höchst wertvolle Einsichten bietet, müssen wir von ihm verlangen, daß er nicht falschspielt.
    Doch, eher melancholische Konklusion, der mondäne
    Erfolg seines Denkens beruht gerade auf dieser Technik des Nichtdefi nierens der Begriffe und dieser Logik des Cogito interruptus, die auch den Apokalyptikern so große Resonanz in den biedersinnigen Feuilletons verschafft hat. In diesem Sinne hat McLuhan ganz recht, der homo gutenbergianus ist tot, und der Leser sucht im gedruckten Buch nach einer Botschaft von niederem Präzisionsgrad, in die er sich halluzinatorisch hineinver-senken kann.: Warum also dann nicht lieber gleich fernsehen?
    Daß fernsehen besser als Sedlmayr ist, steht außer Zweifel; die Witzeleien gewisser TV-Unterhalter über die »futuristische«
    Malerei Picassos sind jedenfalls gesünder als das Lamento über die entartete Kunst. Anders liegt der Fall bei McLuhan: Ideen, auch wenn sie wild durcheinander daherkommen, gute mit schlechten vermischt, wecken andere Ideen, und sei’s auch nur, um sie zu widerlegen. Also lest McLuhan, aber dann geht hin und versucht, euren Freunden davon zu erzählen. So werdet ihr gezwungen sein, eine Reihenfolge zu wählen, und werdet die Halluzination überwinden.
    ( Quindici, 1967)
    Die Sprache, die Macht und die Kraft
    Am 7. Januar 1977 hielt Roland Barthes in Paris vor dem versammelten Publikum der großen Gesellschafts- und Kulturereignisse seine Antrittsvorlesung im Collège de France, in das er kurz zuvor auf den Lehrstuhl für Literatursemiologie berufen worden war. Diese Vorlesung, die damals großen Widerhall

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